Mittwoch, 28. September 2011

Alexandre Dumas – Die drei Musketiere

Haben wir übrigens den Charakter unseres Abenteuers nicht schlecht dargestellt, so mußte der Leser bemerkt haben, daß d’Artagnan ganz und gar kein gewöhnlicher Mensch war. Obwohl er sich immerhin wiederholte, daß sein Tod unausweichlich sei, so gab er sich doch nicht darein, so ganz lautlos zu sterben, wie es wohl ein anderer Mann, der weniger Mut besaß, an seiner Stelle getan hätte. Ferner besaß d’Artagnan jene unerschütterliche Festigkeit des Entschlusses, die sich durch die Ermahnungen seines Vaters in seinem Herzen gebildet hatte, und darin bestand, von niemandem etwas zu erdulden, außer von dem König, dem Kardinal und Herrn von Tréville. Somit ging oder flog er dem Karmeliterkloster, einem Gebäude ohne Fenster, das am Rande dürrer Wiesen lag, einem Anhängsel des Pré-aux-Cleres, und zu Zweikämpfen gewöhnlich solchen Leuten diente, die keine Zeit zu verlieren hatten. Als nun d’Artagnan bei diesem kleinen Terrain ankam, wartete Athos erst seit fünf Minuten, und es schlug eben die Mittagsstunde. Er war somit pünktlich wie die Samaritanerin, und der strengste Kasuist hätte in bezug auf Duelle nichts einzuwenden gewußt. Athos, den seine Wunde noch immer furchtbar schmerzte, obgleich sie ihm der Wundarzt des Herrn von Tréville um neun Uhr verbunden hatte, saß auf einem Brunnenkorb und erwartete seinen Gegner mit jener ruhigen Haltung und würdigen Miene, die er stets bewies. Als er d’Artagnan kommen sah, stand er auf und ging ihm höflich einige Schritte entgegen. Auch dieser empfing seinen Gegner mit dem Hut in der Hand und seine Feder bis zur Erde streifend.
»Mein Herr,« sprach Athos, »ich habe es zweien meiner Freunde gemeldet, die mir als Sekundanten dienen werden; doch sind diese zwei Freunde noch nicht angekommen. Ich wundere mich, daß sie sich verspäten, da es sonst nicht ihre Gewohnheit ist.«
»Ich habe keinen Sekundanten, mein Herr!« versetzte d’Artagnan, »denn da ich erst gestern in Paris ankam, so kenne ich hier niemanden außer Herrn von Tréville, dem mich mein Vater empfohlen hat, der die Ehre genießt, zu seinen Freunden zu gehören.« Athos dachte ein Weilchen nach, dann sagte er: »Ihr kennet niemand, als Herrn von Tréville?«
»Ja, mein Herr, ich kenne bloß ihn.«
»Ha, doch!« fuhr Athos fort, indem er halb zu sich, halb zu d’Artagnan redete; »wenn ich Euch töte, sehe ich aus wie ein Kinderfresser.«
»Nicht so ganz!« entgegnete d’Artagnan mit einer Verbeugung, der es nicht an Würde fehlte: »nicht ganz so, da Ihr mir die Ehre erweiset, gegen mich den Degen mit einer Wunde zu führen, die Euch sehr beschwerlich sein muß.«
»Auf mein Wort, sehr beschwerlich! und ich muß sagen, Ihr habt mir teuflisch wehe getan, doch will ich die linke Hand nehmen, wie ich es unter solchen Umständen zu tun Pflege. Glaubt ja nicht, daß Euch damit eine Gnade geschieht, denn ich fechte gleichmäßig mit beiden Händen; es wird Euch sogar nachteilig sein: denn ein Linker ist sehr schwierig für diejenigen, die nicht darauf gefaßt und eingeübt sind. Es ist mir daher sehr leid, daß ich Euch diesen Umstand im voraus nicht bekanntgab.« D’Artagnan verneigte sich von neuem und sagte: »Mein Herr, Ihr erzeigt mir in der Tat eine Artigkeit, für die ich Euch sehr verbunden bin,«
»Ihr beschämt mich,« entgegnete Athos mit seiner edelmännischen Miene; »ich bitte, sprechen wir von etwas anderem, wenn es Euch nicht unangenehm ist. Ha, bei Gott! wie weh habt Ihr mir getan; es brennt mich noch die Schulter!«
»Wenn Ihr erlauben wollet,« sagte d'Artagnan mit Schüchternheit.
»Was, mein Herr?«
»Ich habe einen wunderbaren Balsam für Verwundungen, einen Balsam, den mir meine Mutter gegeben, und den ich schon an mir selbst erprobt habe.«
»Nun?«
»Nun, ich bin versichert, dieser Balsam würde Euch in weniger als drei Tagen herstellen, und wenn Ihr nach drei Tagen geheilt seid, so, wäre es mir immerhin eine große Ehre, mich nach Euren Wünschen zu richten.« D‘Artagnan sprach diese Worte mit einer Einfachheit, die seiner Artigkeit Ehre machte, ohne seinem Mute nahezutreten. »Beim Himmel,« versetzte Athos, »das ist ein Vorschlag, der mir gefällt; ich nehme ihn zwar nicht an, doch man merkt daran auf eine Meile weit den Edelmann. Wir leben in der Zeit des Herrn Kardinals, und wie gut auch das Geheimnis bewahrt würde, so erführe man heute über drei Tage doch, daß wir uns schlagen sollen, wonach man sich unserm Kampfe widersetzen würde. Ha, daß die Saumseligen noch immer nicht kommen!«
»Wenn Ihr bedrängt seid mit der Zeit,« sprach d’Artagnan zu Athos mit derselben Einfachheit, mit der er ihm einen Augenblick vorher den Vorschlag machte, den Zweikampf auf drei Tage hinauszuschieben, »wenn Ihr bedrängt seid und Belieben tragt, mich auf der Stelle abzufertigen, so tut Euch, ich bitte, keinen Zwang an.«
»Das ist wieder ein Wort, das mir wohlgefällt,« sagte Athos mit einem anmutigen Nicken des Kopfes zu d'Artagnan. »Er ist nicht geistlos,« dachte er, »und jedenfalls ein Mann von Herz.«
»Mein Herr!« sprach er laut, »ich liebe Leute von Eurem Schlag, und sehe, wenn wir uns gegenseitig nicht töten, daß ich später an Eurem Umgang wieder Vergnügen finden werde. Warten wir auf diese Herren, ich habe hinlänglich Zeit, und so geschieht auch die Sache in der Ordnung. Ha, dort kommt ja einer, wie ich glaube.« Am Ausgang der Gasse Baugirard zeigte sich wirklich die Riesengestalt des Porthos.



»Was,« rief d’Artagnan, »Euer erster Zeuge ist Porthos?«
»Ja, ist Euch das zuwider?«
»Ganz und gar nicht.«
»Da kommt auch der Zweite.« D’Artagnan wandte sich nach der von Athos angedeuteten Seite hin und erkannte Aramis. Dann rief er in einem noch verwunderungsvollerem Ton als das erstemal: »Was, Euer zweiter Zeuge ist Herr Aramis?«
»Allerdings; wisset Ihr denn nicht, daß man niemals einen von uns ohne den andern sieht, und daß wir bei den Musketieren wie bei den Leibwachen, bei Hofe wie in der Stadt Athos, Porthos und Aramis, oder die drei Unzertrennlichen heißen? Da Ihr aber von Dax kommt, und von Pau...«
»Ich komme von Tarbes,« fiel d’Artagnan ein.
»So ist es Euch nachzusehen, daß Ihr nichts davon wisset,« sagte Athos.
»Meiner Treu!« entgegnete d’Artagnan, »Eure Namen sind gut gewählt, meine Herren! und wenn mein Abenteuer einiges Geräusch verursacht, so wird es wenigstens beweisen, daß Eure Vereinigung nicht auf Widersprüchen beruhte.« Mittlerweile hatte sich Porthos genähert und Athos mit der Hand begrüßt; als er sich dann gegen d’Artagnan wandte, war er ganz erstaunt. Nebenbei sagen wir, daß er sein Wehrgehänge gewechselt und den Mantel abgelegt hatte.
»Ah!« rief er; »ah! was ist das?«
»Ich schlage mich mit diesem Herrn, sagte Athos und zeigte mit der Hand auf d’Artagnan. »Auch ich schlage mich mit ihm,« versetzte Porthos.
»Aber erst in einer Stunde,« antwortete d’Artagnan.
»Und ich schlage mich gleichfalls mit diesem Herrn,« sagte Aramis, der eben auf dem Platz ankam.
»Doch erst um zwei Uhr,« sprach d’Artagnan mit derselben Ruhe.
»Aber, Athos. warum schlägst du dich denn?« fragte Aramis.
»Meiner Treu, ich weiß es selbst nicht genau; er hat mir an der Schulter weh getan; und du, Porthos?«
»Meiner Treu! ich schlage mich, weil ich mich schlage,« antwortete Porthos errötend. Athos, dem nichts entging, sah über die Lippen des Gascogners ein leises Lächeln hinschweben. »Wir hatten einen Hader in betreff des Anzugs,« sagte der junge Mann.
»Und du, Aramis?« fragte Athos.
»Ich – ich schlage mit aus einer theologischen Ursache,« erwiderte Aramis, und bat zugleich d’Artagnan mit einem Winke, er wolle den Grund ihres Zweikampfes geheimhalten. Athos bemerkte, wie ein zweites Lächeln über d’Artagnans Lippen schwebte.
»Wirklich?« sagte Athos.
»Ja, ein Punkt über den heiligen Augustin, worüber wir nicht einig sind,« entgegnete der Gascogner.
»Er ist offenbar ein geistvoller Mensch,« murmelte Athos.
»Da Ihr nun versammelt seid, meine Herren!« sprach d’Artagnan, »so erlaubt mir, meine Entschuldigungen vorzubringen.« Bei dem Worte Entschuldigungen glitt eine Wolke über Athos’ Stirn hin, ein vornehmes Lächeln über Porthos’ Lippen und ein verneinendes Zeichen war Aramis’ Antwort. »Meine Herren! Ihr versteht mich nicht,« sprach d’Artagnan, indem er sein Haupt erhob, worauf in diesem Moment ein Sonnenstrahl spielte, der die feinen und kühnen Linien vergoldete; »ich bitte euch um Entschuldigung, im Falle ich an alle drei meine Schuld nicht abtragen könnte; denn Herr Arthos hat das Recht, mich zuerst zu töten, das benimmt dem Wert Eurer Schuldforderung viel, Herr Porthos! und macht die Eure fast zunichte, Herr Aramis! und jetzt, meine Herren! ich wiederhole es, entschuldigt mich, aber nur in dieser Hinsicht, und nun ans Werk.« Bei diesen Worten zog d’Artagnan seinen Degen, mit der ritterlichsten Gebärde, die man sehen konnte. Das Blut stieg ihm zu Kopf, und er hätte in diesem Augenblick den Degen wider alle Musketiere des Reiches gezogen, sowie er es tat gegen Athos, Porthos und Aramis.
Es war ein Viertel nach zwölf Uhr. Die Sonne stand im Zenit, und das zum Kampfplatz ausgewählte Terrain war der ganzen Tageshitze ausgesetzt.
»Es ist sehr heiß,« sprach Athos, indem er gleichfalls seinen Degen zog, »und doch darf ich meinen Oberrock nicht ablegen. Ich merkte eben, daß meine Wunde wieder blute, und ich fürchtete den Herrn zu belästigen, wenn ich ihn Blut sehen ließe, das er nicht selbst zum Ausfluß gebracht hat.«
»Das ist wahr, mein Herr,« versetzte d’Artagnan, »und ich versichere Euch, mag nun das Blut durch mich oder durch einen andern zum Ausströmen gebracht werden, daß ich es stets mit Leidwesen einem so wackeren Edelmann entströmen sehe; somit will auch ich im Wams kämpfen wie Ihr.«
»Also auf!« sprach Porthos, »genug der Komplimente, bedenkt nur, daß wir warten, bis die Reihe an uns kommt.«

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