Montag, 3. Oktober 2011

James Herriot – Der Doktor und das liebe Vieh

Ich hatte gerade einen Anruf von einem Mr. Heaton aus Bronsett entgegengenommen, der die Autopsie eines verendeten Schafs wünschte.
«Ich möchte, daß Sie mitkommen, James», sagte Siegfried. «Heute liegt ohnehin nichts Besonderes vor, und ich glaube, auf dem College lernt ihr Burschen ein recht zügiges Autopsieverfahren. Ich will mir das mal ansehen.»
Als wir das Dorf Bronsett erreichten, steuerte Siegfried den Wagen in einen Weg zur Linken. «Wohin wollen Sie denn?» rief ich. «Heaton wohnt am anderen Ende des Dorfes.»
«Aber Sie sagten Seaton.»
«Ich versichere Ihnen...»
«James, ich stand direkt neben Ihnen, als Sie mit dem Mann sprachen. Ich hörte genau, wie Sie Seaton sagten.»
Ich öffnete den Mund, um weiterzuargumentieren, aber der Wagen sauste den Weg hinunter, und Siegfried preßte die Kinnbacken verbissen zusammen. Ich beschloß, es ihn selbst herausfinden zu lassen.
Wir hielten mit kreischenden Bremsen vor dem Bauernhaus an. Der Wagen hatte noch nicht aufgehört zu zittern, da war Siegfried schon draußen und wühlte im Kofferraum herum. «Zum Teufel», brüllte er, «jetzt habe ich kein Seziermesser. Na, dann leihe ich mir eben irgend etwas im Haus.» Er knallte den Deckel herunter und eilte zur Tür.
Die Bauersfrau öffnete, und Siegfried sah sie mit strahlendem Lächeln an. «Guten Morgen, Mrs. Seaton, haben Sie ein Vorlegemesser?»
Die gute Frau zog die Augenbrauen hoch. «Ein was...?»
«Ein Messer zum Bratenschneiden, Mrs. Seaton, und zwar ein recht scharfes, bitte.»
«Zum Tranchieren meinen Sie?»
«Ja, genau, ein Tranchiermesser!» schrie Siegfried, dessen geringer Vorrat an Geduld erschöpft war. «Und vielleicht beeilen Sie sich ein bißchen, ich habe nicht viel Zeit.»
Die verwirrte Frau zog sich in die Küche zurück, und ich hörte aufgeregtes Geflüster und Gemurmel. Ab und zu kamen Kinderköpfe zum Vorschein, um einen raschen Blick auf Siegfried zu werfen, der ungeduldig von einem Fuß auf den anderen trat. Nach einiger Zeit erschien eine der Töchter und streckte ihm mit ängstlicher Miene ein langes, gefährlich aussehendes Messer entgegen.
Siegfried riß es ihr aus der Hand und strich mit dem Daumen über die Schneide. «Das taugt überhaupt nichts!» brüllte er wütend. «Begreift ihr denn nicht, ich brauche etwas wirklich Scharfes. Hol mir einen Wetzstahl.»
Das Mädchen eilte in die Küche zurück, und nun erhob sich ein leises Stimmengewirr. Ein paar Minuten vergingen, dann wurde ein anderes Mädchen aus der Tür geschoben. Sie näherte sich Siegfried bis auf Armeslänge, gab ihm den Stahl und brachte sich eilig in Sicherheit. Siegfried war sehr stolz auf sein Geschick, Messer zu schärfen. Er hatte großen Spaß daran. Je öfter er das Messer über den Stahl zog, desto mehr begeisterte ihn seine Arbeit, und schließlich fing er an zu singen. Aus der Küche drang kein Laut, man hörte nur das Klirren von Stahl auf Stahl, begleitet von dem unmelodischen Gesang; hin und wieder gab es eine Pause, während er sorgfältig die Schneide prüfte; dann begann das Schleifen von neuem.
Als Siegfried die Arbeit zu seiner Zufriedenheit beendet hatte, spähte er ins Haus. «Wo ist Ihr Mann?» rief er.
Da er keine Antwort bekam, marschierte er in die Küche und schwenkte triumphierend die schimmernde Klinge. Ich folgte ihm. Mrs. Seaton und ihre Töchter kauerten in einer Ecke und starrten Siegfried mit großen, erschrockenen Augen an. Er machte eine weit ausholende Bewegung mit dem Messer. «So, kommen Sie, ich kann jetzt anfangen.»
«Anfangen? Womit?» flüsterte die Mutter und drückte ihre Kinder fest an sich.
«Ich möchte Ihr Schaf sezieren. Sie haben doch ein totes Schaf, nicht wahr?»
Nun folgten Erklärungen und Entschuldigungen.
Später machte mir Siegfried ernste Vorhaltungen, weil ich ihm angeblich die falsche Adresse genannt hatte. «In Zukunft müssen Sie etwas besser aufpassen, James», sagte er streng. «So was macht nämlich einen sehr schlechten Eindruck.»

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