Mittwoch, 31. Oktober 2012

Eric-Emmanuel Schmitt – Die Fälschung

Als Georges ihr mitteilte, er wolle sie verlassen, brauchte Aimée einige Minuten, um zu begreifen, dass es sich weder um einen bösen Traum, noch um einen Scherz handelte. Sagte wirklich er das? Meinte er wirklich sie? Als Aimée klar wurde, dass tatsächlich er ihr diesen schweren Schlag versetzte, überprüfte sie, ob sie noch am Leben war. Für diese Diagnose brauchte sie allerdings etwas länger: Das Herz war ihr stehengeblieben, das Blut in den Adern gestockt, eine marmorkalte Stille hatte sie versteinert, daran gehindert, auch nur mit der Wimper zu zucken... Doch sie hörte Georges noch immer – „du musst verstehen, Liebling, es geht so nicht weiter, alles hat ein Ende“ –, sah sein Hemd unter den Achseln schweißnass werden, nahm diesen aufwühlenden Geruch wahr: nach Mann, nach Seife und mit Lavendel aufgefrischter Wäsche... Erstaunt, fast enttäuscht stellte sie fest, dass sie noch am Leben war.
Was Georges da so sanft und freundlich bemüht wieder und wieder sagte, war ein einziger Widerspruch in sich: Er erklärte, von ihr fortgehen zu wollen, und behauptete, dies sei nicht weiter schlimm.
„Wir haben eine gute Zeit gehabt zusammen. Dir verdanke ich meine glücklichsten Momente. Und ich weiß, mein letzter Gedanke wird einzig dir gelten. Doch ich habe nun einmal Familie. Hättest du mich etwa geliebt, wenn ich einer von diesen Männern gewesen wäre, die sich einfach davonschleichen, einer, der sich seinen Verpflichtungen entzieht, Frau, Heim, Kinder und Enkel auf ein Fingerschnalzen hin vernachlässigt?“

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