Sonntag, 24. Juli 2011

Anna Gavalda – Zusammen ist man weniger allein

Paulette Lestafier war nicht so verrückt, wie die Leute behaupteten. Natürlich wusste sie, wann welcher Tag war, sie hatte ja sonst nichts zu tun, als die Tage zu zählen, auf sie zu warten und wieder zu vergessen. Sie wusste sehr wohl, dass heute Mittwoch war. Außerdem war sie fertig! Hatte ihren Mantel übergezogen, ihren Korb gegriffen und ihre Rabattmärkchen zusammengesucht. Sie hatte sogar schon von weitem das Auto der Yvonne gehört. Aber dann stand die Katze vor der Tür, hatte Hunger, und als sie sich bückte, um ihr den Napf hinzustellen, war sie gestürtzt und mit dem Kopf auf der untersten Treppenstufe aufgeschlagen.

Paulette Lestafier fiel öfter hin, aber das war ihr Geheimnis. Das durfte sie nicht erzählen, niemandem.
„Niemandem, hörst du?“ schärfte sie sich ein. „Weder Yvonne noch dem Arzt und schon gar nicht dem Jungen...“

Sie musste langsam wieder aufstehen, warten, bis die Gegenstände alle wieder normal aussahen, Jod auftragen und ihre verfluchten blauen Flecken abdecken.

Die baluen Flecken der Paulette waren nie blau. Sie waren gelb, grün oder hellviolett und lange sichtbar. Viel zu lange. Mehrere Monate bisweilen. Es war schwer, sie zu verstecken. Die Leute fragten sie, warum sie immer wie im tiefsten Winter herumlief, warum sie Strümpfe trug und nie die Strickjacke auszog.

Vor allem der Kleine ging ihr damit auf die Nerven:
„He, Omi? Was soll das? Zieh den Plunder aus, du gehst ja ein vor Hitze!“

Nein, Paulette Lestafier war überhaupt nicht verrückt. Sie wusste, dass ihr die riesigen blauen Flecken, die nicht mehr weggingen, einmal viel Ärger bereiten würden.
Sie wusste, wie alte unnütze Frauen wie sie endeten. Die die Quecke im Gemüsegarten wuchern ließen und sich an den Möbeln festhielten, um nicht zu fallen. Die Alten, die den Faden nicht mehr durch das Nadelöhr bekamen und nicht mehr wussten, wie man den Fernseher lauter stellt. Die alle Knöpfe der Fernbedienung ausprobierten und am Ende heulend vor Wut den Stecker zogen.
Winzige bittere Tränen.
Mit dem Kopf in den Händen vor einem stummen Fernseher.

Und dann? Nichts mehr? Keine Geräusche mehr in diesem Haus? Keine Stimmen? Nie mehr? Weil man angeblich die Farbe der Knöpfe vergessen hat? Dabei hat er dir farbige Etiketten aufgeklebt, der Kleine, er hat dir Etiketten aufgeklebt! Eins für die Programme, eins für die Lautstärke und eins für den Ausknopf! Komm schon, Paulette! Hör auf, so zu heulen, und sieh dir die Etiketten an!

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