Montag, 1. August 2011

Martin Millar – Die Elfen von New York

Dinnie, ein übergewichtiger Menschenfeind, war der schlechteste Geiger von New York. Trotzdem übte er gerade tapfer, als zwei hübsche kleine Feen durch sein Fenster im vierten Stock flatterten und auf seinen Teppich kotzten.
„Entschuldigung“, sagte die eine.
„Ach was“, sagte die andere. „Für Menschen riecht Feenkotze bestimmt köstlich.“
Zu dem Zeitpunkt war Dinnie aber schon halb die Treppe hinunter und wurde immer noch schneller.
„Zwei Feen sind durch mein Fenster reingeflogen und haben auf meinen Teppich gekotzt!“ schrie er, als er unten auf der 4. Straße angekommen war. Er merkte gar nicht, welche Wirkung seine Worte auf die Passanten hatten, bis ein paar Häuser weiter die Müllmänner ihre Tonnen abstellten und ihn auslachten.
„Was is los?“
„Da oben“, schnaufte Dinnie. „Zwei Feen – mit Schottenröckchen und Fiedeln und kleinen Schwertern... grünen Schottenröckchen.“
Die Männer starrten ihn an. Dinnies Monolog stockte.
„Heh“, rief der Vorarbeiter. „Kümmert euch nicht um den Verrückten. Macht weiter mit eurer Arbeit. Los. Vorwärts. Beeilung!“
„Wirklich, es stimmt“, protestierte Dinnie, aber sein Publikum hatte sich verzogen. Niedergeschlagen sah Dinnie den Männern nach.
Die haben mir nicht geglaubt, dachte er. Kein Wunder. Ich glaub’s mir ja selbst nicht.
An der Ecke kickten vier Puertoricaner einen Tennisball hin und her und sahen Dinnie mitleidig an. Mein Gott, jetzt habe ich mich vor allen lächerlich gemacht, dachte er zerknirscht und schlich zurück ins alte Kino im Erdgeschoss seines Hauses. Sein Zimmer war vier Stockwerke hoch unter dem Dach, aber Dinnie wusste nicht recht, ob er so viele Stufen hochsteigen wollte.
„Meine Privatsphäre ist mir heilig“, knurrte er. „Und mein Verstand ebenfalls.“
Er beschloss, sich im Laden gegenüber ein Bier zu holen.
„Aber wenn ich in mein Zimmer komme und da sind zwei Feen, dann gibt’s Ärger.“

Fünf weitere Feen, die nach Bier, Whiskey und Fliegenpilzen abgrundtief desorientiert waren, flohen in diesem Moment in trunkenem Entsetzen vor dem Chaos der Park Avenue in den vergleichsweise sicheren Central Park.
„In welchem Teil von Cornwall sind wir?“ jammerte Padraig und entkam mit knapper Not den Wagenrädern eines Erdnussverkäufers.
„Das weiß nur die Göttin“, antwortete Brannoc und versuchte, Tulip zu befreien, der sich in den baumelnden Zügeln einer Pferdekutsche mit Touristen verfangen hatte.
„Ich glaube, ich halluziniere immer noch“, wimmerte Padraig, denn eine Flutwelle von Joggern wälzte sich auf ihn zu. Maeve zog ihn und die anderen schnell ins rettende Gebüsch.
Erschöpft sanken sie zu Boden.
„Sind wir in Sicherheit?“
Noch immer toste der Stadtlärm um sie herum, aber kein Mensch war zu sehen. Ein Glück. Für die meisten Menschen waren Feen nämlich unsichtbar, und so viele rennende Füße bedeuteten eine schreckliche Gefahr.
„Ja, ich glaube, hier sind wir sicher“, antwortete Brannoc, der älteste von ihnen und gewissermaßen ihr Anführer. „Aber ich habe langsam den Verdacht, dass wir gar nicht mehr in Cornwall sind.“
Ein Eichhörnchen gesellte sich zu ihnen.
„Guten Tag“, sagte Brannoc höflich, trotz seines schrecklichen Katers.
„Wer zum Teufel seid ihr denn?“ wollte das Eichhörnchen wissen.
„Wir sind Elfen“, antwortete Brannoc, woraufhin das Eichhörnchen sich lachend ins Gras plumpsen ließ, denn New Yorker Eichhörnchen sind zynische Kreaturen und glauben nicht an Feen.

In der 4. Straße stapfte Dinnie derweil die Treppen hoch, nahm noch einen großen Schluck von seinem mexikanischen Bier, kratzte sein dickes Kinn und betrat zuversichtlich sein Zimmer; er war überzeugt, dass er alles nur geträumt hatte.
Zwei Feen schliefen friedlich auf seinem Bett, und Dinnie fiel auf der Stelle in eine tiefe Depression. Er wusste, dass er nicht genug Geld hatte für einen Therapeuten.

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