Tauftrauma
Eltern haben viele Möglichkeiten, ihre Söhne zu quälen. Besonders gemein ist es allerdings, ihnen den Namen Horst zu geben. Und warum gerade seine Eltern so grausam waren, hat Horst sein Leben lang nicht verstanden. Immerhin wurde er 1970 geboren und nicht etwa kurz nach dem Zweiten Weltkrieg. Damals, in den fünfziger Jahren, wäre Horst ein ganz normaler Name gewesen für ein ganz normales Ehepaar, das einen ganz normalen Sohn in die Welt setzt. Aber 1970 war 1970. Und zu dieser Zeit musste selbst einem mittleren Beamten und seiner Haus-Ehe-Frau klar gewesen sein, dass kein Kind mit Vornamen Horst heißen möchte. Einfach grundsätzlich nicht. Und schon gar nicht, wenn der Familienname Gurk ist. Doch seine Eltern beschlossen, Horst passe perfekt zu ihrem ersten und leider einzigen Spross, und so konnte bereits kurz nach der Geburt zur Taufe geschritten werden.
Es war ein wolkenverhangener Apriltag, ungemütlich und außergewöhnlich kalt. Die Festgesellschaft hatte sich vor der zuständigen und katholischen Kirche verabredet, und alle waren gekommen. Vater, Mutter und natürlich die Großeltern, sofern sie den Krieg überlebt hatten, dazu ein Taufpate sowie eine Hand voll Freunde der Familie. Gemeinsam schritt man in das Gotteshaus ein, und besonders Vater Gurk glänzte die Vorfreude in den Augen, als er seinen Sohn stolz vor sich hertrug. Der noch Namenlose dagegen war in keiner guten Stimmung. Denn als ob er geahnt hätte, welche Bürde er nach seiner Taufe zu tragen hat, krähte und schrie er, zappelte, spuckte mehrmals seinen Schnuller auf den Boden und presste in seiner Verzweiflung eine mächtige Ladung in seine Windel. Das alles hatte freilich nur kurzfristig aufschiebende Wirkung. Sobald die Möllny wieder saß und der kleine Schreihals über dem Taufbecken fixiert war, wurder kurzer Prozess gemacht. Der Pfarrer begann aus einem goldenen Kelch auf das Baby einzuschütten, und so hieß Horst ab seinem zweiten Lebensjahr eben Horst.
Und als wäre der Name Horst nicht schon Schmach genug gewesen, taten seine Eltern in seiner Jugend alles, um sein Leiden über die Jahre zu retten. Sie tauften ihn nämlich nicht nur Horst, sondern riefen ihn auch bei jeder Gelegenheit auch so, zogen ihn wie einen Horst an und verpassten ihm zu allem Überfluss noch eine horstige Frisur, aus der rechts und links zwei ziemliche fleischige Segelohren leuchtend hervorguckten. Im zarten Alter von fünf Jahren kam dann eine solide Kassenbrille hinzu, die seine eklatante Sehschwäche lindern sollte, und selbst der Kieferorthopäde kannte das Wort Gnade nicht und versuchte jahrelang, seinen fatalen Überbiss mit einer festsitzenden Zahnspange zu bekämpfen, die mit einem massiven Drahtgestell über dem Kopf befestigt war. Die entscheidenen Jahre seiner Kindheit und der danach einsetzenden Pubertät hatte Horst also mit zwei schwierigen Problemen zu kämpfen: Er hatte einen beschissenen Namen, und er sah genau so aus.
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