Mittwoch, 14. Dezember 2011

Diana Wynne Jones – Howl’s Moving Castle

In the land of Ingary, where such things as seven-league boots and cloaks of invisibility really exist, it is quite a misfortune to be born the eldest of three. Everyone knows you are the one who will fail first, and worst, if the three of you set out to seek your fortunes.

Montag, 5. Dezember 2011

Tony Hawks – Mit dem Kühlschrank durch Irland

Ich bin kein unruhiger Schläfer und habe auf diesem Gebiet normalerweise keine Probleme. Eigentlich bin ich richtig gut im Schlafen. Ich schlafe ausgezeichnet. Ich mache kaum Fehler. Gäbe es eine olympische Diziplin „Schlafen“, hätte ich gute Chancen, in die britische Mannschaft aufgenommen zu werden. Ich finde, dass es „Schlafen“ bei den Olympischen Spielen geben sollte. Es würde sich herrvorragend als Freiluftwettkampf eignen, denn die Athleten (mir fällt kein besserer Begriff ein) könnten sich knapp außerhalb der Reichweite der Speere in ihre Betten legen, und der Erste, der einschläft und drei Stunden lang nicht aufwacht, würde Gold gewinnen. Ich zumindest wüsste gerne, welcher Charaktertyp am besten geeignet ist, um unter Wettkampfbedingungen zu schlafen. Und was für Aussichten! Ein Kommentator, der ganz aufgeregt feststellt, dass einer der Wettkämpfer „fast eingenickt“ ist, und seine Enttäuschung über einen jungen Briten äußert, der tragischer Weise von einer Startpistole geweckt worden ist, als nur fünf weitere Minuten in Schlummerland genügt hätten, um ihm die Bronzemedaille zu bescheren. (Und wer würde schon die Wiederholung in Zeitlupe verpassen wollen?)
Ich schaute auf meine Uhr. Halb zwei. Es war ja nicht so, dass ich nicht nahe dran gewesen wäre. Ich war schon zwei mal beihnahe eingeschlafen. Beide Male war mein allmähliches Abgleiten in diesen friedlichen Zustand durch eine kleine Explosion unterbrochen worden. Das war die Zentralheizung der Jugendherberge, die gemeinerweise so konstruiert war, dass sie alle vierzig Minuten ansprang. Das Intervall zwischen den Explosionen war lang genug, damit man richtig müde wurde, aber auch kurz genug, um einen bei der nächsten Detonation des Boilers noch so richtig aufzuschrecken.
Um zwei Uhr wurden die meisten, die das Glück gehabt hatten, es verloren zu haben, wieder zu Bewusstsein gebracht, als der Besitzer des Bettes unter mir lärmend zurückkehrte. Verräterische Anzeichen wie Rülpsen und Singen ließen vermuten, dass dieser Mann, als er mit der einfachen Frage konfrontiert worden war, was er mit diesem Abend anfangen sollte, nicht die gesunde Alternative gewählt hatte. Es entging meiner Aufmerksamkeit nicht, dass er in der gegebenen Situation die richtige Entscheidung getroffen hatte, denn kaum hatte er sich ungeschickt und lautstark seiner Kleidung entledigt und den Kopf auf das Kissen gelegt, fing er auch schon zu schnarchen an. Nun, nicht ganz. Er schnarchte fast. Die tiefen Atemzüge waren schon zu hören und auch die dazugehörigen Schnarchlaute, aber nur sehr leise. Unüberhörbar hatte dieser Mann das Potenzial, sehr laut zu schnarchen, er musste dafür aber erst warm werden. Es war unbedingt ratsam einzuschlafen, bevor er seine volle Lautstärke erreicht hatte.
In dieser Hinsicht versagte ich, und eine Stunde später hatte sein Schnarchen ein Niveau erreicht, das ihm eine Medaille bei den Europameisterschaften eingebracht hätte. Alle Hinweise deuteten darauf hin, dass er in einer weiteren Viertelstunde seine volle Leistungskraft erreichen und Schnarcher von sich geben würde, die sich mit den besten der Welt messen konnten. ich war der Einzige, dem dies Sorgen bereitete, denn an den deutlich vernehmbaren Atemrhytmen der anderen im Schlafsaal konnte ich erkennen, dass es allen außer mir gelungen war, einzuschlafen.
Fremdem Schnarchen ausgesetzt zu sein war für mich keine neue Erfahrung, aber zum ersten Mal kam das Schnarchen von direkt unter mir. Irgendwie wurde es dadurch um einiges beunruhigender und vermittelte den Eindruck, als drohe eine Art geologische Katastrophe. Mitten in der Nacht gibt es kein rationales Denken, und obwohl Irland nicht für seine Erdbeben und Vulkane berühmt ist, richtete ich mich doch zweimal voll Furcht kerzengerade im bett auf, als es unter mir heftig grollte.
Ich bin gegen die Todesstrafe. Ich glaube, es ist ein Fehler, den Menschen ausgerechnet dadurch, dass man sie umbringt, zeigen zu wollen, dass sie keine Menschen umbringen sollen. Ich bin jedoch nicht gegen das Töten von Schnarchern. Die Menschen haben schon unzählige Heilmittel gegen das Schnarchen probiert, und keines hat funktioniert. Gut, man kann die Schnarcher wecken, aber sie schlafen nur wieder ein und fangen von vorne an. Die einzig wirklich effektive Methode, jemanden am schnarchen zu hindern, ist, ihn zu töten.
Ich lag in meinem Bett und überlegte mir, was ich für Möglichkeiten hatte. Ihn zu ersticken schien das angemessenste zu sein, aber die Vorstellung, ihn zu erwürgen, gefiel mir auch. ich bildete mir ein, dass es auf der ganzen Welt kein Gericht geben würde, das meine gegenwärtige Notlage nicht als mildernde Umstände gelten lassen würde. Aber dann hörte er überraschend auf. Er hörte einfach zu schnarchen auf, als sei ein Waffenstillstand vereinbart worden. Die Stille war mir kein Trost. Ich wusste, dass dies nur eine vorrübergehende Einstellung der Kampfhandlungen war und dass er schon bald wieder loslegen würde. Mir war daher klar, dass die nächste Periode entscheidend war, wenn es mir gelingen sollte einzuschlafen. Ich musste jetzt handeln. Also wälzte ich mich auf die Seite und schloss krampfhaft die Augen. Es klappte nicht. Ganz offensichtlich verfüge ich nicht über die Voraussetzungen, die nötig gewesen wären, um unter derartigem Druck zu schlafen.
Die Nacht schleppte sich voran.
Hier in aller Kürze die wichtigsten Ereignisse:

3:30    Der Betrunkene fängt wieder zu schnarchen an.
3:45    Auf der anderen Seite des Schlafsaals lässt sich ein Schläfer dazu anregen mitzuschnarchen (es kommt zum Stereoeffekt).
4:30    Stehe auf und gehe zur Toilette. Stoße mit dem Zeh gegen einen Bettpfosten.
4:33    Komme von der Toilette zurück und stoße mit dem gleichen Zeh gegen einen anderen Bettpfosten.
4:55    Denke ernsthaft daran, mit aller Kraft zu schreien: „HÖRT MAL ALLE HER, VERSCHWINDET AUS MEINEM ZIMMER!!“
5:05    Ziehe Selbstmord als eine ernst zu nehmende Option in Erwägung.
5:07    Verwerfe Selbstmord, der zu laut wäre und die anderen wecken würde.
5:15    Ich gebe auf und finde mich mit einer Nacht ohne Schlaf ab.
5:16    Schlafe ein.
6:30    Wache auf, als der Wecker des chinesisch aussehneden Mannes klingelt.
6:31    Entscheide, dass der Tod zu gut für den chinesisch aussehenden Mann ist. Werde die Ermordung ihm nahestehender Familienangehöriger in Auftrag geben.
8:00    Beschließe aufzustehen.
8:01    Entdecke, dass ich eine unnötige und ungerechtfertigte Erektion habe.
8:02    Warte darauf, dass sich der Schlafsaal leert.
8:32    Schlafsaal ist beinahe leer. Riskiere es, aufzustehen. Riesige Dame aus Holland sieht die auffällige Ausbeulung meiner Boxershorts und lächelt.
8:40    Frühstück, das ich damit zubringe, Blickkontakt mit der Dame aus Holland zu vermeiden.
9:30    Verlasse das Gebäude.

Dienstag, 15. November 2011

Francis Hodgson Burnett – Der kleine Lord

In der Nähe des Grafen stand ein Stuhl mit hoher Lehne, und Cedrik setzte sich darauf. Seine Füßchen berührten nicht den Boden, dennoch schien er sich behaglich zu fühlen, wie er hier saß und seinen hohen Verwandten aufmerksam, aber bescheiden musterte.
„Ich war sehr neugierig zu wissen, wie Sie aussehen“, sagte er. „Während ich auf dem Schiffe in meiner Hängematte lag, habe ich öfter darüber nachgedacht, ob Sie wohl meinem Vater ähnlich wären.“
„Bin ich das?“ fragte der Graf.
„Ach, ich war noch sehr jung, als mein Papa starb“, antwortete Cedrik, „und ich erinnere mich seiner daher wohl nicht mehr genau, aber ich glaube nicht, dass Sie ihm ähnlich sind.“
„So bist du wohl enttäuscht?“ fragte der Graf.
„O nein!“ antwortete Cedrik höflich. „Natürlich wären auch Sie glücklich, wenn jemand Ihrem Vater gliche. Aber Sie würden sich auch über das Aussehen Ihres Großvaters freuen, wenn er nicht Ihrem Vater ähnlich sähe. Verwandte hat man doch immer lieb. Meinen Sie nicht auch?“

Donnerstag, 10. November 2011

Friedrich Schiller – Die Bürgschaft



Zu Dionys, dem Tyrannen, schlich
Damon, den Dolch im Gewande:
Ihn schlugen die Häscher in Bande,
»Was wolltest du mit dem Dolche? sprich!«
Entgegnet ihm finster der Wüterich.
»Die Stadt vom Tyrannen befreien!«
»Das sollst du am Kreuze bereuen.«

»Ich bin«, spricht jener, »zu sterben bereit

Und bitte nicht um mein Leben:

Doch willst du Gnade mir geben,

Ich flehe dich um drei Tage Zeit,
Bis ich die Schwester dem Gatten gefreit
;
Ich lasse den Freund dir als Bürgen,
Ihn magst du, entrinn' ich, erwürgen.«

Da lächelt der König mit arger List

Und spricht nach kurzem Bedenken:

»Drei Tage will ich dir schenken;

Doch wisse, wenn sie verstrichen, die Frist,

Eh' du zurück mir gegeben bist,

So muß er statt deiner erblassen,

Doch dir ist die Strafe erlassen.«

Und er kommt zum Freunde: »Der König gebeut,

Daß ich am Kreuz mit dem Leben
Bezahle das frevelnde Streben.

Doch will er mir gönnen drei Tage Zeit,

Bis ich die Schwester dem Gatten gefreit;

So bleib du dem König zum Pfande,
Bis ich komme zu lösen die Bande.«

Und schweigend umarmt ihn der treue Freund

Und liefert sich aus dem Tyrannen;

Der andere ziehet von dannen.
Und ehe das dritte Morgenrot scheint,

Hat er schnell mit dem Gatten die Schwester vereint,

Eilt heim mit sorgender Seele,

Damit er die Frist nicht verfehle.

Da gießt unendlicher Regen herab,

Von den Bergen stürzen die Quellen,

Und die Bäche, die Ströme schwellen.

Und er kommt ans Ufer mit wanderndem Stab,
Da reißet die Brücke der Strudel herab,

Und donnernd sprengen die Wogen

Dem Gewölbes krachenden Bogen.

Und trostlos irrt er an Ufers Rand:

Wie weit er auch spähet und blicket

Und die Stimme, die rufende, schicket.

Da stößet kein Nachen vom sichern Strand,

Der ihn setze an das gewünschte Land,

Kein Schiffer lenket die Fähre,

Und der wilde Strom wird zum Meere.

Da sinkt er ans Ufer und weint und fleht,

Die Hände zum Zeus erhoben:

»O hemme des Stromes Toben!

Es eilen die Stunden, im Mittag steht

Die Sonne, und wenn sie niedergeht
Und ich kann die Stadt nicht erreichen,

So muß der Freund mir erbleichen.«

Doch wachsend erneut sich des Stromes Wut,

Und Welle auf Welle zerrinnet,

Und Stunde an Stunde ertrinnet.
Da treibt ihn die Angst, da faßt er sich Mut
Und wirft sich hinein in die brausende Flut

Und teilt mit gewaltigen Armen

Den Strom, und ein Gott hat Erbarmen.

Und gewinnt das Ufer und eilet fort

Und danket dem rettenden Gotte;

Da stürzet die raubende Rotte

Hervor aus des Waldes nächtlichem Ort,

Den Pfad ihm sperrend, und schnaubet Mord
Und hemmet des Wanderers Eile

Mit drohend geschwungener Keule.

»Was wollt ihr?« ruft er vor Schrecken bleich,

»Ich habe nichts als mein Leben,

Das muß ich dem Könige geben!«

Und entreißt die Keule dem nächsten gleich:

»Um des Freundes willen erbarmet euch!«

Und drei mit gewaltigen Streichen

Erlegt er, die andern entweichen.

Und die Sonne versendet glühenden Brand,

Und von der unendlichen Mühe
Ermattet sinken die Kniee.

»O hast du mich gnädig aus Räubershand,

Aus dem Strom mich gerettet ans heilige Land,

Und soll hier verschmachtend verderben,

Und der Freund mir, der liebende, sterben!«

Und horch! da sprudelt es silberhell,

Ganz nahe, wie rieselndes Rauschen,

Und stille hält er, zu lauschen;

Und sieh, aus dem Felsen, geschwätzig, schnell,

Springt murmelnd hervor ein lebendiger Quell,

Und freudig bückt er sich nieder

Und erfrischet die brennenden Glieder.

Und die Sonne blickt durch der Zweige Grün

Und malt auf den glänzenden Matten

Der Bäume gigantische Schatten;

Und zwei Wanderer sieht er die Straße ziehn,

Will eilenden Laufes vorüber fliehn,

Da hört er die Worte sie sagen:

»Jetzt wird er ans Kreuz geschlagen.«

Und die Angst beflügelt den eilenden Fuß,

Ihn jagen der Sorge Qualen;

Da schimmern in Abendrots Strahlen

Von ferne die Zinnen von Syrakus,

Und entgegen kommt ihm Philostratus,

Des Hauses redlicher Hüter,

Der erkennet entsetzt den Gebieter:

»Zurück! du rettest den Freund nicht mehr,
So rette das eigene Leben!

Den Tod erleidet er eben.

Von Stunde zu Stunde gewartet' er

Mit hoffender Seele der Wiederkehr,
Ihm konnte den mutigen Glauben

Der Hohn des Tyrannen nicht rauben.«

»Und ist es zu spät, und kann ich ihm nicht,

Ein Retter, willkommen erscheinen,

So soll mich der Tod ihm vereinen.

Des rühme der blut'ge Tyrann sich nicht,

Daß der Freund dem Freunde gebrochen die Pflicht,

Er schlachte der Opfer zweie

Und glaube an Liebe und Treue!«

Und die Sonne geht unter, da steht er am Tor,

Und sieht das Kreuz schon erhöhet,

Das die Menge gaffend umstehet;

An dem Seile schon zieht man den Freund empor,

Da zertrennt er gewaltig den dichter Chor:

»Mich, Henker«, ruft er, »erwürget!

Da bin ich, für den er gebürget!«

Und Erstaunen ergreifet das Volk umher,
In den Armen liegen sich beide

Und weinen vor Schmerzen und Freude.

Da sieht man kein Augen tränenleer,
Und zum Könige bringt man die Wundermär';
Der fühlt ein menschliches Rühren,

Läßt schnell vor den Thron sie führen.

Und blicket sie lange verwundert an.
Drauf spricht er: »Es ist euch gelungen,
Ihr habt das Herz mir bezwungen;

Und die Treue, sie ist doch kein leerer Wahn –

So nehmet auch mich zum Genossen an:
Ich sei, gewährt mir die Bitte,
In eurem Bunde der dritte!«

Donnerstag, 27. Oktober 2011

Matt Ruff – Bad Monkeys

„Worin besteht Ihre Arbeit bei Bad Monkeys“, fragte der Arzt, „also was tun Sie? Böse Menschen bestrafen?“
„Nein. Normalerweise töten wir sie einfach.“
„Und töten ist keine Strafe?“
„Nur dann, wenn man’s tut, um jemand irgend etwas heimzuzahlen. Aber das ist nicht das Ziel der Organisation. Wir versuchen lediglich, die Welt zu einem besseren Ort zu machen.“
„Indem Sie böse Menschen töten.“
„Nicht alle. Nur die, bei denen Kosten-Nutzen zu dem Schluss kommt, dass sie durch ihre weitere Existenz erheblich mehr Schaden anrichten würden als Gutes tun.“
„Macht es Ihnen etwas aus, Menschen zu töten?“
„Eigentlich nicht. Es ist nicht so, als wenn man Polizist wär. Ich meine, Bullen, die haben es mit allen möglichen Leuten zu tun, und manchmal müssen sie im Namen des Gesetzes Typen einbuchten, die eigentlich gar nicht so schlimm sind. Ich kann mir schon vorstellen, dass einen das in Gewissenskonflikte stürzen kann. Aber die Typen, die wir uns bei Bad Monkeys vorknöpfen, sind keine von der Sorte, die einem gemischte Gefühle verursachen.“

Freitag, 14. Oktober 2011

Robert Louis Stevenson – Der Selbstmörderclub

„Es gibt zahlreiche Gründe, weshalb ich Ihnen meine Geschichte nicht erzählen sollte; vielleicht ist aber das gerade der Grund, weswegen ich es doch tun will. Endlich scheinen Sie mir so gut darauf vorbereitet, eine Geschichte voller Albernheiten anzuhören, dass ich es nicht übers Herz bringe, Sie zu enttäuschen. Meinen Namen werde ich trotz Ihres Beispiels für mich behalten. Auch mein Alter ist für die Narretei nicht wesentlich. Ich stamme von meinen Vorfahren auf ganz gewöhnliche Weise ab und von ihnen erbte ich auch das höchst passable Äußere, dessen ich mich noch erfreue, und ein Vermögen von dreihundert Pfund Rente. Ich nehme ferner an, dass sie gleichfalls die Neigung zu unbesonnen Scherzen auf mich übertrugen, der zu frönen meine hauptsächlichste Freude war. Ich empfing eine gute Erziehung. Ich spiele die geige fast gut genug, um damit in einem Schmierenorchester Geld zu verdienen, ein bisschen fehlt freilich noch dazu. Das gleich gilt für Flöte und Französiches Horn. Vom Whist lernte ich genügend, um in einem Jahr bei diesem gelehrten Spiel mehr als hundert Pfund zu verlieren. Meine Vertrautheit mit der französischen Sprache reichte hin, es mir zu ermöglichen, in Paris fast mit der gleichen Leichtigkeit Geld zu verschwenden wie in London. Kurz, ich bin eine Person mannigfachen Talentes. Es gibt keinerlei Abenteuer einschließlich eines Duells um nichts, die ich nicht unternommen, in denen ich mich nicht betätigt hätte. Kaum zwei Monate sind verstrichen, da traf ich eine junge Dame, die an Körper und Geist völlig meinem Geschmack entsprach; ich fühlte, wie mein Herz schmolz; endlich, sah ich, hatte sich mein Schicksal erfüllt, ich war auf bestem Wege, mich zu verlieben. Als ich mich jedoch daran machte, zu überzählen, was von meinem Kapital noch übrig blieb, stellte ich fest, dass es sich auf etwas weniger als vierhundert Pfund belief! Ich frage Sie aufrichtig – kann ein Mann von Selbstachtung sich auf Grundlage von vierhundert Pfund verlieben? Meine Schlussfolgerung lautete: ausgeschlossen. Ich floh die Gegenwart meiner Zauberin, und ein wenig die Höhe meiner gewohnten Aufwendungen steigernd, erreichte ich heute früh meine letzten achtzig Pfund. Diese Summe teilte ich zwei gleiche Teile; vierzig reservierte ich für einen besonderen Zweck; die verbleibenden vierzig wollte ich vor Nachtanbruch vergeuden. ich habe einen sehr arbeitsreichen Tag hinter mir und außer dem Unfug mit den Sahnetörtchen, der mir den Vorzug Ihrer Bekanntschaft verschaffte, betätige ich mich noch in manchen anderen Possen, war es doch meine Bestimmung, wie ich Ihnen bereits erzählte, einen närrischen Lebenslauf zu einem noch närrischeren Abschluss zu bringen. Und als Sie sahen, wie ich meine Börse auf die Straße schmiss, waren meine vierzig Pfund zu Ende. Jetzt kennen Sie mich so genau wie ich mich selbst kenne: ein Narr, aber in feiner Narrheit beständig; und, das möchte ich Sie bitten mir zu glauben, weder ein Jammerlappen noch ein Feigling.“

Mittwoch, 12. Oktober 2011

Maurice Sendak – Wo die wilden Kerle wohnen

Und er segelte zurück, fast ein ganzes Jahr und viele Wochen lang und noch einen Tag bis in sein Zimmer, wo es Nacht war und das Essen auf ihn wartete, und es war noch warm.












Montag, 3. Oktober 2011

James Herriot – Der Doktor und das liebe Vieh

Ich hatte gerade einen Anruf von einem Mr. Heaton aus Bronsett entgegengenommen, der die Autopsie eines verendeten Schafs wünschte.
«Ich möchte, daß Sie mitkommen, James», sagte Siegfried. «Heute liegt ohnehin nichts Besonderes vor, und ich glaube, auf dem College lernt ihr Burschen ein recht zügiges Autopsieverfahren. Ich will mir das mal ansehen.»
Als wir das Dorf Bronsett erreichten, steuerte Siegfried den Wagen in einen Weg zur Linken. «Wohin wollen Sie denn?» rief ich. «Heaton wohnt am anderen Ende des Dorfes.»
«Aber Sie sagten Seaton.»
«Ich versichere Ihnen...»
«James, ich stand direkt neben Ihnen, als Sie mit dem Mann sprachen. Ich hörte genau, wie Sie Seaton sagten.»
Ich öffnete den Mund, um weiterzuargumentieren, aber der Wagen sauste den Weg hinunter, und Siegfried preßte die Kinnbacken verbissen zusammen. Ich beschloß, es ihn selbst herausfinden zu lassen.
Wir hielten mit kreischenden Bremsen vor dem Bauernhaus an. Der Wagen hatte noch nicht aufgehört zu zittern, da war Siegfried schon draußen und wühlte im Kofferraum herum. «Zum Teufel», brüllte er, «jetzt habe ich kein Seziermesser. Na, dann leihe ich mir eben irgend etwas im Haus.» Er knallte den Deckel herunter und eilte zur Tür.
Die Bauersfrau öffnete, und Siegfried sah sie mit strahlendem Lächeln an. «Guten Morgen, Mrs. Seaton, haben Sie ein Vorlegemesser?»
Die gute Frau zog die Augenbrauen hoch. «Ein was...?»
«Ein Messer zum Bratenschneiden, Mrs. Seaton, und zwar ein recht scharfes, bitte.»
«Zum Tranchieren meinen Sie?»
«Ja, genau, ein Tranchiermesser!» schrie Siegfried, dessen geringer Vorrat an Geduld erschöpft war. «Und vielleicht beeilen Sie sich ein bißchen, ich habe nicht viel Zeit.»
Die verwirrte Frau zog sich in die Küche zurück, und ich hörte aufgeregtes Geflüster und Gemurmel. Ab und zu kamen Kinderköpfe zum Vorschein, um einen raschen Blick auf Siegfried zu werfen, der ungeduldig von einem Fuß auf den anderen trat. Nach einiger Zeit erschien eine der Töchter und streckte ihm mit ängstlicher Miene ein langes, gefährlich aussehendes Messer entgegen.
Siegfried riß es ihr aus der Hand und strich mit dem Daumen über die Schneide. «Das taugt überhaupt nichts!» brüllte er wütend. «Begreift ihr denn nicht, ich brauche etwas wirklich Scharfes. Hol mir einen Wetzstahl.»
Das Mädchen eilte in die Küche zurück, und nun erhob sich ein leises Stimmengewirr. Ein paar Minuten vergingen, dann wurde ein anderes Mädchen aus der Tür geschoben. Sie näherte sich Siegfried bis auf Armeslänge, gab ihm den Stahl und brachte sich eilig in Sicherheit. Siegfried war sehr stolz auf sein Geschick, Messer zu schärfen. Er hatte großen Spaß daran. Je öfter er das Messer über den Stahl zog, desto mehr begeisterte ihn seine Arbeit, und schließlich fing er an zu singen. Aus der Küche drang kein Laut, man hörte nur das Klirren von Stahl auf Stahl, begleitet von dem unmelodischen Gesang; hin und wieder gab es eine Pause, während er sorgfältig die Schneide prüfte; dann begann das Schleifen von neuem.
Als Siegfried die Arbeit zu seiner Zufriedenheit beendet hatte, spähte er ins Haus. «Wo ist Ihr Mann?» rief er.
Da er keine Antwort bekam, marschierte er in die Küche und schwenkte triumphierend die schimmernde Klinge. Ich folgte ihm. Mrs. Seaton und ihre Töchter kauerten in einer Ecke und starrten Siegfried mit großen, erschrockenen Augen an. Er machte eine weit ausholende Bewegung mit dem Messer. «So, kommen Sie, ich kann jetzt anfangen.»
«Anfangen? Womit?» flüsterte die Mutter und drückte ihre Kinder fest an sich.
«Ich möchte Ihr Schaf sezieren. Sie haben doch ein totes Schaf, nicht wahr?»
Nun folgten Erklärungen und Entschuldigungen.
Später machte mir Siegfried ernste Vorhaltungen, weil ich ihm angeblich die falsche Adresse genannt hatte. «In Zukunft müssen Sie etwas besser aufpassen, James», sagte er streng. «So was macht nämlich einen sehr schlechten Eindruck.»

Freitag, 30. September 2011

Johann Wolfgang von Goethe – Beherzigung

Feiger Gedanken
bängliches Schwanken,
weibisches Zagen,
ängstliches Klagen
wendet kein Elend,
macht dich nicht frei.

Allen Gewalten
zum Trutz sich erhalten,
nimmer sich beugen,
kräftig sich zeigen
rufet die Arme
der Götter herbei.

Mittwoch, 28. September 2011

Alexandre Dumas – Die drei Musketiere

Haben wir übrigens den Charakter unseres Abenteuers nicht schlecht dargestellt, so mußte der Leser bemerkt haben, daß d’Artagnan ganz und gar kein gewöhnlicher Mensch war. Obwohl er sich immerhin wiederholte, daß sein Tod unausweichlich sei, so gab er sich doch nicht darein, so ganz lautlos zu sterben, wie es wohl ein anderer Mann, der weniger Mut besaß, an seiner Stelle getan hätte. Ferner besaß d’Artagnan jene unerschütterliche Festigkeit des Entschlusses, die sich durch die Ermahnungen seines Vaters in seinem Herzen gebildet hatte, und darin bestand, von niemandem etwas zu erdulden, außer von dem König, dem Kardinal und Herrn von Tréville. Somit ging oder flog er dem Karmeliterkloster, einem Gebäude ohne Fenster, das am Rande dürrer Wiesen lag, einem Anhängsel des Pré-aux-Cleres, und zu Zweikämpfen gewöhnlich solchen Leuten diente, die keine Zeit zu verlieren hatten. Als nun d’Artagnan bei diesem kleinen Terrain ankam, wartete Athos erst seit fünf Minuten, und es schlug eben die Mittagsstunde. Er war somit pünktlich wie die Samaritanerin, und der strengste Kasuist hätte in bezug auf Duelle nichts einzuwenden gewußt. Athos, den seine Wunde noch immer furchtbar schmerzte, obgleich sie ihm der Wundarzt des Herrn von Tréville um neun Uhr verbunden hatte, saß auf einem Brunnenkorb und erwartete seinen Gegner mit jener ruhigen Haltung und würdigen Miene, die er stets bewies. Als er d’Artagnan kommen sah, stand er auf und ging ihm höflich einige Schritte entgegen. Auch dieser empfing seinen Gegner mit dem Hut in der Hand und seine Feder bis zur Erde streifend.
»Mein Herr,« sprach Athos, »ich habe es zweien meiner Freunde gemeldet, die mir als Sekundanten dienen werden; doch sind diese zwei Freunde noch nicht angekommen. Ich wundere mich, daß sie sich verspäten, da es sonst nicht ihre Gewohnheit ist.«
»Ich habe keinen Sekundanten, mein Herr!« versetzte d’Artagnan, »denn da ich erst gestern in Paris ankam, so kenne ich hier niemanden außer Herrn von Tréville, dem mich mein Vater empfohlen hat, der die Ehre genießt, zu seinen Freunden zu gehören.« Athos dachte ein Weilchen nach, dann sagte er: »Ihr kennet niemand, als Herrn von Tréville?«
»Ja, mein Herr, ich kenne bloß ihn.«
»Ha, doch!« fuhr Athos fort, indem er halb zu sich, halb zu d’Artagnan redete; »wenn ich Euch töte, sehe ich aus wie ein Kinderfresser.«
»Nicht so ganz!« entgegnete d’Artagnan mit einer Verbeugung, der es nicht an Würde fehlte: »nicht ganz so, da Ihr mir die Ehre erweiset, gegen mich den Degen mit einer Wunde zu führen, die Euch sehr beschwerlich sein muß.«
»Auf mein Wort, sehr beschwerlich! und ich muß sagen, Ihr habt mir teuflisch wehe getan, doch will ich die linke Hand nehmen, wie ich es unter solchen Umständen zu tun Pflege. Glaubt ja nicht, daß Euch damit eine Gnade geschieht, denn ich fechte gleichmäßig mit beiden Händen; es wird Euch sogar nachteilig sein: denn ein Linker ist sehr schwierig für diejenigen, die nicht darauf gefaßt und eingeübt sind. Es ist mir daher sehr leid, daß ich Euch diesen Umstand im voraus nicht bekanntgab.« D’Artagnan verneigte sich von neuem und sagte: »Mein Herr, Ihr erzeigt mir in der Tat eine Artigkeit, für die ich Euch sehr verbunden bin,«
»Ihr beschämt mich,« entgegnete Athos mit seiner edelmännischen Miene; »ich bitte, sprechen wir von etwas anderem, wenn es Euch nicht unangenehm ist. Ha, bei Gott! wie weh habt Ihr mir getan; es brennt mich noch die Schulter!«
»Wenn Ihr erlauben wollet,« sagte d'Artagnan mit Schüchternheit.
»Was, mein Herr?«
»Ich habe einen wunderbaren Balsam für Verwundungen, einen Balsam, den mir meine Mutter gegeben, und den ich schon an mir selbst erprobt habe.«
»Nun?«
»Nun, ich bin versichert, dieser Balsam würde Euch in weniger als drei Tagen herstellen, und wenn Ihr nach drei Tagen geheilt seid, so, wäre es mir immerhin eine große Ehre, mich nach Euren Wünschen zu richten.« D‘Artagnan sprach diese Worte mit einer Einfachheit, die seiner Artigkeit Ehre machte, ohne seinem Mute nahezutreten. »Beim Himmel,« versetzte Athos, »das ist ein Vorschlag, der mir gefällt; ich nehme ihn zwar nicht an, doch man merkt daran auf eine Meile weit den Edelmann. Wir leben in der Zeit des Herrn Kardinals, und wie gut auch das Geheimnis bewahrt würde, so erführe man heute über drei Tage doch, daß wir uns schlagen sollen, wonach man sich unserm Kampfe widersetzen würde. Ha, daß die Saumseligen noch immer nicht kommen!«
»Wenn Ihr bedrängt seid mit der Zeit,« sprach d’Artagnan zu Athos mit derselben Einfachheit, mit der er ihm einen Augenblick vorher den Vorschlag machte, den Zweikampf auf drei Tage hinauszuschieben, »wenn Ihr bedrängt seid und Belieben tragt, mich auf der Stelle abzufertigen, so tut Euch, ich bitte, keinen Zwang an.«
»Das ist wieder ein Wort, das mir wohlgefällt,« sagte Athos mit einem anmutigen Nicken des Kopfes zu d'Artagnan. »Er ist nicht geistlos,« dachte er, »und jedenfalls ein Mann von Herz.«
»Mein Herr!« sprach er laut, »ich liebe Leute von Eurem Schlag, und sehe, wenn wir uns gegenseitig nicht töten, daß ich später an Eurem Umgang wieder Vergnügen finden werde. Warten wir auf diese Herren, ich habe hinlänglich Zeit, und so geschieht auch die Sache in der Ordnung. Ha, dort kommt ja einer, wie ich glaube.« Am Ausgang der Gasse Baugirard zeigte sich wirklich die Riesengestalt des Porthos.



»Was,« rief d’Artagnan, »Euer erster Zeuge ist Porthos?«
»Ja, ist Euch das zuwider?«
»Ganz und gar nicht.«
»Da kommt auch der Zweite.« D’Artagnan wandte sich nach der von Athos angedeuteten Seite hin und erkannte Aramis. Dann rief er in einem noch verwunderungsvollerem Ton als das erstemal: »Was, Euer zweiter Zeuge ist Herr Aramis?«
»Allerdings; wisset Ihr denn nicht, daß man niemals einen von uns ohne den andern sieht, und daß wir bei den Musketieren wie bei den Leibwachen, bei Hofe wie in der Stadt Athos, Porthos und Aramis, oder die drei Unzertrennlichen heißen? Da Ihr aber von Dax kommt, und von Pau...«
»Ich komme von Tarbes,« fiel d’Artagnan ein.
»So ist es Euch nachzusehen, daß Ihr nichts davon wisset,« sagte Athos.
»Meiner Treu!« entgegnete d’Artagnan, »Eure Namen sind gut gewählt, meine Herren! und wenn mein Abenteuer einiges Geräusch verursacht, so wird es wenigstens beweisen, daß Eure Vereinigung nicht auf Widersprüchen beruhte.« Mittlerweile hatte sich Porthos genähert und Athos mit der Hand begrüßt; als er sich dann gegen d’Artagnan wandte, war er ganz erstaunt. Nebenbei sagen wir, daß er sein Wehrgehänge gewechselt und den Mantel abgelegt hatte.
»Ah!« rief er; »ah! was ist das?«
»Ich schlage mich mit diesem Herrn, sagte Athos und zeigte mit der Hand auf d’Artagnan. »Auch ich schlage mich mit ihm,« versetzte Porthos.
»Aber erst in einer Stunde,« antwortete d’Artagnan.
»Und ich schlage mich gleichfalls mit diesem Herrn,« sagte Aramis, der eben auf dem Platz ankam.
»Doch erst um zwei Uhr,« sprach d’Artagnan mit derselben Ruhe.
»Aber, Athos. warum schlägst du dich denn?« fragte Aramis.
»Meiner Treu, ich weiß es selbst nicht genau; er hat mir an der Schulter weh getan; und du, Porthos?«
»Meiner Treu! ich schlage mich, weil ich mich schlage,« antwortete Porthos errötend. Athos, dem nichts entging, sah über die Lippen des Gascogners ein leises Lächeln hinschweben. »Wir hatten einen Hader in betreff des Anzugs,« sagte der junge Mann.
»Und du, Aramis?« fragte Athos.
»Ich – ich schlage mit aus einer theologischen Ursache,« erwiderte Aramis, und bat zugleich d’Artagnan mit einem Winke, er wolle den Grund ihres Zweikampfes geheimhalten. Athos bemerkte, wie ein zweites Lächeln über d’Artagnans Lippen schwebte.
»Wirklich?« sagte Athos.
»Ja, ein Punkt über den heiligen Augustin, worüber wir nicht einig sind,« entgegnete der Gascogner.
»Er ist offenbar ein geistvoller Mensch,« murmelte Athos.
»Da Ihr nun versammelt seid, meine Herren!« sprach d’Artagnan, »so erlaubt mir, meine Entschuldigungen vorzubringen.« Bei dem Worte Entschuldigungen glitt eine Wolke über Athos’ Stirn hin, ein vornehmes Lächeln über Porthos’ Lippen und ein verneinendes Zeichen war Aramis’ Antwort. »Meine Herren! Ihr versteht mich nicht,« sprach d’Artagnan, indem er sein Haupt erhob, worauf in diesem Moment ein Sonnenstrahl spielte, der die feinen und kühnen Linien vergoldete; »ich bitte euch um Entschuldigung, im Falle ich an alle drei meine Schuld nicht abtragen könnte; denn Herr Arthos hat das Recht, mich zuerst zu töten, das benimmt dem Wert Eurer Schuldforderung viel, Herr Porthos! und macht die Eure fast zunichte, Herr Aramis! und jetzt, meine Herren! ich wiederhole es, entschuldigt mich, aber nur in dieser Hinsicht, und nun ans Werk.« Bei diesen Worten zog d’Artagnan seinen Degen, mit der ritterlichsten Gebärde, die man sehen konnte. Das Blut stieg ihm zu Kopf, und er hätte in diesem Augenblick den Degen wider alle Musketiere des Reiches gezogen, sowie er es tat gegen Athos, Porthos und Aramis.
Es war ein Viertel nach zwölf Uhr. Die Sonne stand im Zenit, und das zum Kampfplatz ausgewählte Terrain war der ganzen Tageshitze ausgesetzt.
»Es ist sehr heiß,« sprach Athos, indem er gleichfalls seinen Degen zog, »und doch darf ich meinen Oberrock nicht ablegen. Ich merkte eben, daß meine Wunde wieder blute, und ich fürchtete den Herrn zu belästigen, wenn ich ihn Blut sehen ließe, das er nicht selbst zum Ausfluß gebracht hat.«
»Das ist wahr, mein Herr,« versetzte d’Artagnan, »und ich versichere Euch, mag nun das Blut durch mich oder durch einen andern zum Ausströmen gebracht werden, daß ich es stets mit Leidwesen einem so wackeren Edelmann entströmen sehe; somit will auch ich im Wams kämpfen wie Ihr.«
»Also auf!« sprach Porthos, »genug der Komplimente, bedenkt nur, daß wir warten, bis die Reihe an uns kommt.«

Donnerstag, 22. September 2011

Oscar Wilde – The Happy Prince (complete)



High above the city, on a tall column, stood the statue of the Happy Prince. He was gilded all over with thin leaves of fine gold, for eyes he had two bright sapphires, and a large red ruby glowed on his sword-hilt.
He was very much admired indeed. “He is as beautiful as a weathercock,” remarked one of the Town Councillors who wished to gain a reputation for having artistic tastes; “only not quite so useful,” he added, fearing lest people should think him unpractical, which he really was not.
“Why can't you be like the Happy Prince?” asked a sensible mother of her little boy who was crying for the moon. “The Happy Prince never dreams of crying for anything.”
“I am glad there is some one in the world who is quite happy,” muttered a disappointed man as he gazed at the wonderful statue.
“He looks just like an angel,” said the Charity Children as they came out of the cathedral in their bright scarlet cloaks and their clean white pinafores.
“How do you know?” said the Mathematical Master, “you have never seen one.”
“Ah! but we have, in our dreams,” answered the children; and the Mathematical Master frowned and looked very severe, for he did not approve of children dreaming.

One night there flew over the city a little Swallow. His friends had gone away to Egypt six weeks before, but he had stayed behind, for he was in love with the most beautiful Reed. He had met her early in the spring as he was flying down the river after a big yellow moth, and had been so attracted by her slender waist that he had stopped to talk to her.
“Shall I love you?” said the Swallow, who liked to come to the point at once, and the Reed made him a low bow. So he flew round and round her, touching the water with his wings, and making silver ripples. This was his courtship, and it lasted all through the summer.
„It is a ridiculous attachment,“ twittered the other Swallows; “she has no money, and far too many relations”; and indeed the river was quite full of Reeds. Then, when the autumn came they all flew away.
After they had gone he felt lonely, and began to tire of his lady-love. “She has no conversation,” he said, “and I am afraid that she is a coquette, for she is always flirting with the wind.” And certainly, whenever the wind blew, the Reed made the most graceful curtseys. “I admit that she is domestic,” he continued, “but I love travelling, and my wife, consequently, should love travelling also.“
“Will you come away with me?” he said finally to her; but the Reed shook her head, she was so attached to her home.
“You have been trifling with me,” he cried. “I am off to the Pyramids. Good-bye!” and he flew away.

All day long he flew, and at night-time he arrived at the city. “Where shall I put up?” he said; “I hope the town has made preparations.”
Then he saw the statue on the tall column.
“I will put up there,” he cried; “it is a fine position, with plenty of fresh air.” So he alighted just between the feet of the Happy Prince.
“I have a golden bedroom,” he said softly to himself as he looked round, and he prepared to go to sleep; but just as he was putting his head under his wing a large drop of water fell on him. “What a curious thing!” he cried; “there is not a single cloud in the sky, the stars are quite clear and bright, and yet it is raining. The climate in the north of Europe is really dreadful. The Reed used to like the rain, but that was merely her selfishness.”
Then another drop fell.
“What is the use of a statue if it cannot keep the rain off?” he said; “I must look for a good chimney-pot,” and he determined to fly away.
But before he had opened his wings, a third drop fell, and he looked up, and saw—Ah! what did he see?
The eyes of the Happy Prince were filled with tears, and tears were running down his golden cheeks. His face was so beautiful in the moonlight that the little Swallow was filled with pity.
“Who are you?” he said.
“I am the Happy Prince.”
“Why are you weeping then?” asked the Swallow; “you have quite drenched me.”
“When I was alive and had a human heart,” answered the statue, “I did not know what tears were, for I lived in the Palace of Sans-Souci, where sorrow is not allowed to enter. In the daytime I played with my companions in the garden, and in the evening I led the dance in the Great Hall. Round the garden ran a very lofty wall, but I never cared to ask what lay beyond it, everything about me was so beautiful. My courtiers called me the Happy Prince, and happy indeed I was, if pleasure be happiness. So I lived, and so I died. And now that I am dead they have set me up here so high that I can see all the ugliness and all the misery of my city, and though my heart is made of lead yet I cannot chose but weep.”
“What! is he not solid gold?” said the Swallow to himself. He was too polite to make any personal remarks out loud.
“Far away,” continued the statue in a low musical voice, “far away in a little street there is a poor house. One of the windows is open, and through it I can see a woman seated at a table. Her face is thin and worn, and she has coarse, red hands, all pricked by the needle, for she is a seamstress. She is embroidering passion-flowers on a satin gown for the loveliest of the Queen's maids-of-honour to wear at the next Court-ball. In a bed in the corner of the room her little boy is lying ill. He has a fever, and is asking for oranges. His mother has nothing to give him but river water, so he is crying. Swallow, Swallow, little Swallow, will you not bring her the ruby out of my sword-hilt? My feet are fastened to this pedestal and I cannot move.”
“I am waited for in Egypt,” said the Swallow. “My friends are flying up and down the Nile, and talking to the large lotus-flowers. Soon they will go to sleep in the tomb of the great King. The King is there himself in his painted coffin. He is wrapped in yellow linen, and embalmed with spices. Round his neck is a chain of pale green jade, and his hands are like withered leaves.”
“Swallow, Swallow, little Swallow,” said the Prince, “will you not stay with me for one night, and be my messenger? The boy is so thirsty, and the mother so sad.”
“I don't think I like boys,” answered the Swallow. “Last summer, when I was staying on the river, there were two rude boys, the miller’s sons, who were always throwing stones at me. They never hit me, of course; we swallows fly far too well for that, and besides, I come of a family famous for its agility; but still, it was a mark of disrespect.”
But the Happy Prince looked so sad that the little Swallow was sorry. “It is very cold here,” he said; “but I will stay with you for one night, and be your messenger.”
“Thank you, little Swallow,” said the Prince.
So the Swallow picked out the great ruby from the Prince’s sword, and flew away with it in his beak over the roofs of the town.
He passed by the cathedral tower, where the white marble angels were sculptured. He passed by the palace and heard the sound of dancing. A beautiful girl came out on the balcony with her lover. “How wonderful the stars are,” he said to her, “and how wonderful is the power of love!”
“I hope my dress will be ready in time for the State-ball,” she answered; “I have ordered passion-flowers to be embroidered on it; but the seamstresses are so lazy.”
He passed over the river, and saw the lanterns hanging to the masts of the ships. He passed over the Ghetto, and saw the old Jews bargaining with each other, and weighing out money in copper scales. At last he came to the poor house and looked in. The boy was tossing feverishly on his bed, and the mother had fallen asleep, she was so tired. In he hopped, and laid the great ruby on the table beside the woman's thimble. Then he flew gently round the bed, fanning the boy’s forehead with his wings. “How cool I feel,” said the boy, “I must be getting better”; and he sank into a delicious slumber.
Then the Swallow flew back to the Happy Prince, and told him what he had done. “It is curious,” he remarked, “but I feel quite warm now, although it is so cold.”
“That is because you have done a good action,” said the Prince. And the little Swallow began to think, and then he fell asleep. Thinking always made him sleepy.

When day broke he flew down to the river and had a bath. “What a remarkable phenomenon,” said the Professor of Ornithology as he was passing over the bridge. “A swallow in winter!” And he wrote a long letter about it to the local newspaper. Every one quoted it, it was full of so many words that they could not understand.
“To-night I go to Egypt,” said the Swallow, and he was in high spirits at the prospect. He visited all the public monuments, and sat a long time on top of the church steeple. Wherever he went the Sparrows chirruped, and said to each other, “What a distinguished stranger!” so he enjoyed himself very much.
When the moon rose he flew back to the Happy Prince. “Have you any commissions for Egypt?” he cried; “I am just starting.”
“Swallow, Swallow, little Swallow,” said the Prince, “will you not stay with me one night longer?”
“I am waited for in Egypt,” answered the Swallow. “To-morrow my friends will fly up to the Second Cataract. The river-horse couches there among the bulrushes, and on a great granite throne sits the God Memnon. All night long he watches the stars, and when the morning star shines he utters one cry of joy, and then he is silent. At noon the yellow lions come down to the water’s edge to drink. They have eyes like green beryls, and their roar is louder than the roar of the cataract.
“Swallow, Swallow, little Swallow,” said the Prince, “far away across the city I see a young man in a garret. He is leaning over a desk covered with papers, and in a tumbler by his side there is a bunch of withered violets. His hair is brown and crisp, and his lips are red as a pomegranate, and he has large and dreamy eyes. He is trying to finish a play for the Director of the Theatre, but he is too cold to write any more. There is no fire in the grate, and hunger has made him faint.”
“I will wait with you one night longer,” said the Swallow, who really had a good heart. “Shall I take him another ruby?”
“Alas! I have no ruby now,” said the Prince; “my eyes are all that I have left. They are made of rare sapphires, which were brought out of India a thousand years ago. Pluck out one of them and take it to him. He will sell it to the jeweller, and buy food and firewood, and finish his play.”
“Dear Prince,” said the Swallow, “I cannot do that”; and he began to weep.
“Swallow, Swallow, little Swallow,” said the Prince, “do as I command you.”
So the Swallow plucked out the Prince’s eye, and flew away to the student’s garret. It was easy enough to get in, as there was a hole in the roof. Through this he darted, and came into the room. The young man had his head buried in his hands, so he did not hear the flutter of the bird’s wings, and when he looked up he found the beautiful sapphire lying on the withered violets.
“I am beginning to be appreciated,” he cried; “this is from some great admirer. Now I can finish my play,” and he looked quite happy.

The next day the Swallow flew down to the harbour. He sat on the mast of a large vessel and watched the sailors hauling big chests out of the hold with ropes. “Heave a-hoy!” they shouted as each chest came up. “I am going to Egypt!” cried the Swallow, but nobody minded, and when the moon rose he flew back to the Happy Prince.
“I am come to bid you good-bye,” he cried.
“Swallow, Swallow, little Swallow," said the Prince, “will you not stay with me one night longer?”
“It is winter,” answered the Swallow, “and the chill snow will soon be here. In Egypt the sun is warm on the green palm-trees, and the crocodiles lie in the mud and look lazily about them. My companions are building a nest in the Temple of Baalbec, and the pink and white doves are watching them, and cooing to each other. Dear Prince, I must leave you, but I will never forget you, and next spring I will bring you back two beautiful jewels in place of those you have given away. The ruby shall be redder than a red rose, and the sapphire shall be as blue as the great sea.”
“In the square below,” said the Happy Prince, “there stands a little match-girl. She has let her matches fall in the gutter, and they are all spoiled. Her father will beat her if she does not bring home some money, and she is crying. She has no shoes or stockings, and her little head is bare. Pluck out my other eye, and give it to her, and her father will not beat her.”
“I will stay with you one night longer,” said the Swallow, “but I cannot pluck out your eye. You would be quite blind then.”
“Swallow, Swallow, little Swallow,” said the Prince, “do as I command you.”
So he plucked out the Prince’s other eye, and darted down with it. He swooped past the match-girl, and slipped the jewel into the palm of her hand. “What a lovely bit of glass,” cried the little girl; and she ran home, laughing.
Then the Swallow came back to the Prince. “You are blind now,” he said, “so I will stay with you always.”
“No, little Swallow,” said the poor Prince, “you must go away to Egypt.”
“I will stay with you always,” said the Swallow, and he slept at the Prince’s feet.

All the next day he sat on the Prince’s shoulder, and told him stories of what he had seen in strange lands. He told him of the red ibises, who stand in long rows on the banks of the Nile, and catch gold-fish in their beaks; of the Sphinx, who is as old as the world itself, and lives in the desert, and knows everything; of the merchants, who walk slowly by the side of their camels, and carry amber beads in their hands; of the King of the Mountains of the Moon, who is as black as ebony, and worships a large crystal; of the great green snake that sleeps in a palm-tree, and has twenty priests to feed it with honey-cakes; and of the pygmies who sail over a big lake on large flat leaves, and are always at war with the butterflies.
“Dear little Swallow,” said the Prince, “you tell me of marvellous things, but more marvellous than anything is the suffering of men and of women. There is no Mystery so great as Misery. Fly over my city, little Swallow, and tell me what you see there.”
So the Swallow flew over the great city, and saw the rich making merry in their beautiful houses, while the beggars were sitting at the gates. He flew into dark lanes, and saw the white faces of starving children looking out listlessly at the black streets. Under the archway of a bridge two little boys were lying in one another’s arms to try and keep themselves warm. “How hungry we are!” they said. “You must not lie here,” shouted the Watchman, and they wandered out into the rain.
Then he flew back and told the Prince what he had seen.
“I am covered with fine gold,” said the Prince, “you must take it off, leaf by leaf, and give it to my poor; the living always think that gold can make them happy.”
Leaf after leaf of the fine gold the Swallow picked off, till the Happy Prince looked quite dull and grey. Leaf after leaf of the fine gold he brought to the poor, and the children’s faces grew rosier, and they laughed and played games in the street. “We have bread now!” they cried.

Then the snow came, and after the snow came the frost. The streets looked as if they were made of silver, they were so bright and glistening; long icicles like crystal daggers hung down from the eaves of the houses, everybody went about in furs, and the little boys wore scarlet caps and skated on the ice.
The poor little Swallow grew colder and colder, but he would not leave the Prince, he loved him too well. He picked up crumbs outside the baker’s door when the baker was not looking and tried to keep himself warm by flapping his wings.
But at last he knew that he was going to die. He had just strength to fly up to the Prince’s shoulder once more. “Good-bye, dear Prince!” he murmured, “will you let me kiss your hand?”
“I am glad that you are going to Egypt at last, little Swallow,” said the Prince, “you have stayed too long here; but you must kiss me on the lips, for I love you.”
“It is not to Egypt that I am going,” said the Swallow. “I am going to the House of Death. Death is the brother of Sleep, is he not?”
And he kissed the Happy Prince on the lips, and fell down dead at his feet.
At that moment a curious crack sounded inside the statue, as if something had broken. The fact is that the leaden heart had snapped right in two. It certainly was a dreadfully hard frost.

Early the next morning the Mayor was walking in the square below in company with the Town Councillors. As they passed the column he looked up at the statue: “Dear me! how shabby the Happy Prince looks!” he said.
“How shabby indeed!” cried the Town Councillors, who always agreed with the Mayor; and they went up to look at it.
“The ruby has fallen out of his sword, his eyes are gone, and he is golden no longer,” said the Mayor in fact, “he is litttle beter than a beggar!”
“Little better than a beggar,” said the Town Councillors.
“And here is actually a dead bird at his feet!” continued the Mayor. “We must really issue a proclamation that birds are not to be allowed to die here.” And the Town Clerk made a note of the suggestion.
So they pulled down the statue of the Happy Prince. “As he is no longer beautiful he is no longer useful,” said the Art Professor at the University.
Then they melted the statue in a furnace, and the Mayor held a meeting of the Corporation to decide what was to be done with the metal. “We must have another statue, of course,” he said, “and it shall be a statue of myself.”
“Of myself,” said each of the Town Councillors, and they quarrelled. When I last heard of them they were quarrelling still.

“What a strange thing!” said the overseer of the workmen at the foundry. “This broken lead heart will not melt in the furnace. We must throw it away.” So they threw it on a dust-heap where the dead Swallow was also lying.

“Bring me the two most precious things in the city,” said God to one of His Angels; and the Angel brought Him the leaden heart and the dead bird.
“You have rightly chosen,” said God, “for in my garden of Paradise this little bird shall sing for evermore, and in my city of gold the Happy Prince shall praise me.”

Samstag, 20. August 2011

Cornelia Funke – Reckless, Steinernes Fleisch

»Wo ist Will?«, fragte Jacob.
Clara wies auf den Turm neben dem Tor. »Er ist schon mehr als eine Stunde dort oben. Er hat kein Wort gesprochen, seit er sie gesehen hat.«
Sie wussten beide, von wem sie sprach.
Die Rosen wucherten nirgendwo dichter als an den runden Mauern des Turmes. Ihre Blüten waren so dunkelrot, dass die Nacht sie fast schwarz färbte, und ihr Duft hing so süß und schwer in der kalten Luft, als spürten sie den Herbst nicht.
Jacob ahnte schon, was er unter dem Turmdach finden Würde, bevor er die enge Wendeltreppe hinaufstieg. Die Ranken krallten sich in seine Kleider, und er musste die Stiefel immer wieder aus den dornigen Schlingen befreien, doch schließlich stand er vor dem Raum, in dem vor fast zweihundert Iahren eine Fee ihr Geburtstagsgeschenk überbracht hatte.
Das Spinnrad stand neben einem schmalen Bett, das nie für eine Prinzessin gedacht gewesen war. Der Körper, der immer noch darauf schlief, war bedeckt mit Rosenblättern. Der Fluch der Fee hatte ihn in all den Jahren nicht altern lassen, aber die Haut war wie Pergament und fast so vergilbt wie das Kleid, das die Prinzessin seit zwei Jahrhunderten trug. Die Perlen, mit denen es bestickt war, schimmerten immer noch weiß, aber die Spitze, die es säumte, war inzwischen ebenso braun wie die Blütenblätter, die die Seide bedeckten.
Will stand an dem einzigen Fenster, als wäre der Prinz doch noch gekommen. Jacobs Schritte ließen ihn herumfahren. Der Stein färbte ihm nun auch die Stirn, und das Blau seiner Augen trank im Gold. Die Plünderer hatten ihnen das wertvollste gestohlen, was sie hatten. Zeit.
»Kein ›und wenn sie nicht gestorben sind‹«, sagte Will mit einem Blick auf die Prinzessin. »Und das hier war auch ein Feenfluch.« Er lehnte sich gegen die Mauer. »Geht es dir besser?«
»Ja«, log Jacob. »Was ist mit dir?«
Will antwortete nicht sofort. Und als er es schließlich tat, klang seine Stimme so glatt und kühl wie seine neue Haut.
»Mein Gesicht fühlt sich an wie polierter Stein. Die Nacht wird mit jedem Tag heller, und ich konnte dich hören, lange bevor du auf der Treppe warst. Ich spüre es inzwischen nicht nur auf der Haut.« Er hielt inne und rieb sich die Schläfen. »Es ist auch in mir.«
Will trat auf das Bett zu und starrte auf den mumifizierten Körper.
»Ich hatte alles vergessen. Dich. Clara. Mich selbst. Ich wollte nur noch zu ihnen reiten.«
Jacob suchte nach Worten, aber er fand nicht eines.
»Ist es das, was passiert? Sag mir die Wahrheit.« Will blickte ihn an. »Ich werde nicht nur aussehen wie sie. Ich werde sein wie sie, oder?«
Jacob hatte die Lügen auf der Zunge, all das ›Unsinn, Will, alles wird gut‹, aber er brachte sie nicht mehr über die Lippen.
Der Blick seines Bruders ließ es nicht zu.
»Willst du wissen, wie sie sind?« Will pflückte der Prinzessin ein Rosenblatt aus dem strohigen Haar. »Sie sind zornig. Ihr Zorn bricht in dir aus wie eine Flamme. Aber sie sind auch der Stein.
Sie spüren ihn in der Erde und hören ihn unter sich atmen.«
Er betrachtete die schwarzen Nägel an seiner Hand.
»Sie sind Dunkelheit«, sagte er leise. »Und Hitze. Und der rote Mond ist ihre Sonne.«
Jacob schauderte, als er den Stein in seiner Stimme hörte.
Sag etwas, ]acob. Irgendetwas. Es war so still in der dunklen Kammer.
»Du wirst nicht werden wie sie«, sagte er. »Weil ich es Verhindern Werde.«
»Wie?« Da war er wieder, dieser Blick, der plötzlich älter war als er. »Ist es wahr, was du den Plünderern erzählt hast? Du bringst mich zu einer anderen Fee?«
»Ja.«
»Ist sie so gefährlich wie die, die das hier getan hat?« Will berührte das pergamentene Gesicht der Prinzessin. »Sieh aus dem Fenster. In den Dornen hängen Tote. Glaubst du, ich will, dass du meinetwegen so endest?«
Aber Wills Blick strafte seine Worte Lügen. Hilf mir Jacob, sagte er. Hilf mir.
Jacob zog ihn von der Toten fort.
»Die Fee, zu der ich dich bringe, ist anders«, sagte er. Ist sie das, Jacob?, flüsterte es in ihm, aber er beachtete es nicht. Er legte alle Hoffnung, die er hatte, in seine Stimme. Und all die Zuversicht, die sein Bruder hören wollte: »Sie wird uns helfen, Will! Ich verspreche es dir.«
Es funktionierte immer noch. Die Hoffnung säte sich auf Wills Gesicht ebenso leicht aus wie der Zorn. Brüder. Der ältere und der jüngere. Unverändert.













  

Sonntag, 14. August 2011

Mathias Praxenthaler – Horst der Held

Tauftrauma

Eltern haben viele Möglichkeiten, ihre Söhne zu quälen. Besonders gemein ist es allerdings, ihnen den Namen Horst zu geben. Und warum gerade seine Eltern so grausam waren, hat Horst sein Leben lang nicht verstanden. Immerhin wurde er 1970 geboren und nicht etwa kurz nach dem Zweiten Weltkrieg. Damals, in den fünfziger Jahren, wäre Horst ein ganz normaler Name gewesen für ein ganz normales Ehepaar, das einen ganz normalen Sohn in die Welt setzt. Aber 1970 war 1970. Und zu dieser Zeit musste selbst einem mittleren Beamten und seiner Haus-Ehe-Frau klar gewesen sein, dass kein Kind mit Vornamen Horst heißen möchte. Einfach grundsätzlich nicht. Und schon gar nicht, wenn der Familienname Gurk ist. Doch seine Eltern beschlossen, Horst passe perfekt zu ihrem ersten und leider einzigen Spross, und so konnte bereits kurz nach der Geburt zur Taufe geschritten werden.
Es war ein wolkenverhangener Apriltag, ungemütlich und außergewöhnlich kalt. Die Festgesellschaft hatte sich vor der zuständigen und katholischen Kirche verabredet, und alle waren gekommen. Vater, Mutter und natürlich die Großeltern, sofern sie den Krieg überlebt hatten, dazu ein Taufpate sowie eine Hand voll Freunde der Familie. Gemeinsam schritt man in das Gotteshaus ein, und besonders Vater Gurk glänzte die Vorfreude in den Augen, als er seinen Sohn stolz vor sich hertrug. Der noch Namenlose dagegen war in keiner guten Stimmung. Denn als ob er geahnt hätte, welche Bürde er nach seiner Taufe zu tragen hat, krähte und schrie er, zappelte, spuckte mehrmals seinen Schnuller auf den Boden und presste in seiner Verzweiflung eine mächtige Ladung in seine Windel. Das alles hatte freilich nur kurzfristig aufschiebende Wirkung. Sobald die Möllny wieder saß und der kleine Schreihals über dem Taufbecken fixiert war, wurder kurzer Prozess gemacht. Der Pfarrer begann aus einem goldenen Kelch auf das Baby einzuschütten, und so hieß Horst ab seinem zweiten Lebensjahr eben Horst.
Und als wäre der Name Horst nicht schon Schmach genug gewesen, taten seine Eltern in seiner Jugend alles, um sein Leiden über die Jahre zu retten. Sie tauften ihn nämlich nicht nur Horst, sondern riefen ihn auch bei jeder Gelegenheit auch so, zogen ihn wie einen Horst an und verpassten ihm zu allem Überfluss noch eine horstige Frisur, aus der rechts und links zwei ziemliche fleischige Segelohren leuchtend hervorguckten. Im zarten Alter von fünf Jahren kam dann eine solide Kassenbrille hinzu, die seine eklatante Sehschwäche lindern sollte, und selbst der Kieferorthopäde kannte das Wort Gnade nicht und versuchte jahrelang, seinen fatalen Überbiss mit einer festsitzenden Zahnspange zu bekämpfen, die mit einem massiven Drahtgestell über dem Kopf befestigt war. Die entscheidenen Jahre seiner Kindheit und der danach einsetzenden Pubertät hatte Horst also mit zwei schwierigen Problemen zu kämpfen: Er hatte einen beschissenen Namen, und er sah genau so aus.

Dienstag, 9. August 2011

Nick Hornby – About a Boy

Marcus konnte es nicht fassen. Eine tote Ente. Na schön, er hatte versucht, sie mit einem Stück Sandwich am Kopf zu treffen, aber versucht hatte er schon alles Mögliche, und nichts davon hatte je geklappt. Er hatte versucht, den höchsten Punktestand im Stargazer-Spiel im Kebabladen auf der Hornsey Road zu erreichen – nichts. Er hatte eine Woche lang in jeder Mathestunde versucht, Nickys Gedanken zu lesen, indem er auf seinen Hinterkopf starrte – nichts. Es wurmte ihn wirklich, dass bei seinem einzigen geglückten Versuch etwas herausgekommen war, was er nun wirklich nicht allzu dringend gewollt hatte. Und überhaupt, seit wann starben Vögel daran, dass sie von einem Sandwich getroffen wurden? Kinder verbrachten bestimmt ihr halbes Leben damit, Dinge nach den Enten im Regent's Park zu schmeißen. Wieso war gerade er an eine so schlappe Ente geraten? Ihr musste irgendwas gefehlt haben. Wahrscheinlich war sie sowieso kurz vor dem Herzinfarkt oder so was gewesen; es war nur ein Zufall. Aber selbst wenn es so war, würde ihm niemand glauben. Falls es Zeugen gab, würden sie nur gesehen haben, wie das Brot die Ente direkt am Hinterkopf traf und sie daraufhin umkippte. Sie würden zwei und zwei zusammenzählen und dabei fünf rausbekommen, und er würde für ein Verbrechen ins Gefängnis wandern, das er nie begangen hatte.
Will, Suzie, Megan und Marcus standen auf dem Pfad am Rand des Weihers und starrten auf den im Wasser treibenden Kadaver.
»Lässt sich jetzt auch nicht mehr ändern«, sagte Will, der trendy Typ, der hinter Suzie her war. »Lass sie einfach. Wo ist denn das Problem?«
»Na ja ... angenommen, mich hat einer gesehen?«
»Glaubst du das?«
»Ich weiß nicht. Kann sein. Kann sein, dass sie gesagt haben, sie würden es dem Parkwächter sagen.«
»Kann es sein, dass dich jemand gesehen hat, oder war es so? Kann es sein, dass jemand gesagt hat, er würde es dem Parkwächter sagen, oder war es so?« Marcus konnte den Kerl nicht leiden, also antwortete er ihm nicht.
»Was schwimmt da neben ihr?«, fragte Will. »Ist das das Brot, das du nach ihr geworfen hast?«
Marcus nickte unglücklich.
»Das ist kein Sandwich, das ist ein verdammtes Baguette. Kein Wunder, dass sie umgekippt ist. Damit hättest du sogar mich töten können.«

Sonntag, 7. August 2011

Max Frisch – Mein Name sei Gantenbein

Die dabei gewesen sind, die letzten, die ihn noch gesprochen haben, Bekannte durch Zufall, sagen, dass er an dem Abend nicht anders war als sonst, munter, nicht übermütig. Man speiste reizvoll, aber nicht üppig; geredet wurde viel; Palaver mit Niveau, wobei er wenigstens zu Anfang, scheint es, nicht stiller war als die anderen. Jemand will sich gewundert haben über seinen müden Blick, wenn er zuhörte; dann wieder beteiligte er sich, um vorhanden zu sein, witzig, also nicht anders als man ihn kannte. Später ging die ganze Gruppe noch in eine Bar, wo man vorerst in Mänteln stand, später sich zu andern setzte, die ihn nicht kannten; vielleicht wurde er deswegen still. Er bestellte nur noch Kaffee. Als er später aus der Toilette zurückkam, sagen sie, war er bleich, aber eigentlich bemerkte man es erst, als er, ohne sich nochmals zu setzten, um Entschuldigung bat, er möchte nachhaus, fühle sich plötzlich nicht besonders. Er machte es kurz, ohne Handschlag, leichthin, um ihr Gespräch nicht zu unterbrechen. Jemand sagte noch: So warte doch, wir werden hier auch nicht alt! Er war aber, sagen sie, nicht zu halten, und als die Garderobiere endlich seinen Mantel brachte, zog er diesen nicht an, sondern nahm ihn nur auf den Arm, als habe er Eile. Alle sagen, er habe nicht viel getrunken, und sie waren nicht sicher, ob er sich wirklich unwohl fühlte, ob das nicht ein Vorwand war; er lächelte. Vielleicht hatte er noch eine andere Verabredung. Die Damen foppten ihn schmeichelhaft; er schien auf die Verdächtigung einzugehen, aber ohne noch ein Wort zu sagen. Man musste ihn gehen lassen. Es war noch nicht einmal Mitternacht. Als man dann seine vergessene Pfeife auf dem Tisch bemerkte, war es zu spät, um ihm nachzulaufen... Der Tod muss eingetreten sein, kurz nachdem er sich in seinen Wagen gesetzt hatte; das Standlicht  war eingeschaltet, ebenso der Motor, der Winker blinkte und blinkte, als wollte er jeden Augenblick in die Straße ausfahren. Er saß aufrecht, Kopf nach hinten, beide Hände am aufgerissenen Kragen, als ein Polizist kam, um nachzusehen warum der Wagen mit dem laufenden Motor nicht ausfuhr. Es muss ein kurzer Tod gewesen, und die nicht dabei gewesen sind, sagen, ein leichter Tod – ich kann es mir nicht vorstellen – ein Tod wie gewünscht...
Ich stelle mir vor:
So könnte das Ende von Enderlin sein.
Oder von Gantenbein?
Eher von Enderlin.
Ja, sage ich auch, ich habe ihn gekannt. Was heißt das! Ich habe ihn mir vorgestellt, und jetzt wirft er mir meine Vorstellungen zurück wie Plunder; er braucht keine Geschichte mehr wie Kleider.

Freitag, 5. August 2011

Bibi Dumon Tak – Kuckuck, Krake, Kakerlake

Der Löcherkrake.


Das Weibchen schwebt wie eine zwei Meter große, rosafarbene Decke durch den Ozean. Und das Männchen, ach, das Männchen. Das ist nicht größer als ihr Auge. Ein mickrig kleiner Tintenfisch von zwei Zentimetern Länge. Aber was für einen Mumm der hat!
Sein ganzes Leben ist eine einzige Schnitzeljagd. Die Schnitzeljagd nach einer Frau. Wenn er sie endlich gefunden hat, stirbt er. Aber bevor er stirbt, muss er noch eine Heldentat vollbringen. Er muss dafür sorgen, dass es Nachwuchs gibt: kleine Löcherkrakenkinder.
Das kleine Männchen wirft alle seine Samen in einen seiner acht Arme und schwimmt an dem riesenhaften Weibchen entlang. Dann trennt es den Arm, in dem sich die Samen befinden, ab und legt ihn auf einem der Riesenarme des Weibchens ab. Dieser Arm ist natürlich sein Pimmel. Und während dieser nach oben kriecht, stirbt das Männchen.
Sein Pimmel setzt sich zu einigen anderen Pimmeln in ein Loch. Daher stammt der Name „Löcherkrake“. Das Weibchen hat nämlich eine Art Pimmelwartezimmer in ihrem Körper. Zu der Zeit, in der sie Kinder bekommen möchte, drückt sie alle Pimmel aus, sodass die Samen zu ihren Eiern gelangen.
Einmal starb ein Löcherkrakenweibchen in einem großen Meeresaquarium. Als die Wärter es herausfischten, sahen sie die ganzen Pimmel, die auf ihrem Körper herumkrochen. Das Weibchen war tot, aber die Pimmel lebten noch lange glücklich und zufrieden.

Mittwoch, 3. August 2011

Howard Fast – Sacco und Vanzetti

Sechs Uhr früh ist Tagesanfang. Wenn dann der Tag beginnt, sind es achtzehn Stunden bis zu der Mitternacht genannten Zeit, die nach Meinung so vieler Tagesende ist.
Um sechs Uhr früh schmecken und fühlen sie den Tag, die Tiere und alles, was den Tieren nahe ist. Die Fische wälzen sich auf den Rücken und zeigen ihre Bäuche und sehen nach dem grauen Wolkenlicht, das auf das Wasser tröpfelt. Die Vögel fliegen so hoch, dass sie den Rand der Sonne sehen. Auf dem Boden mischt sich Staub dem Morgennebel, und aus diesem Nebel erhebt sich gleich einer mittelalterlichen Burg ein Gefängnis von achteckigem Grundriss.
Die Wärter, die auf den Gefängnismauern Posten stehen, wenden ihre düsteren, gedankenleeren Augen dem Tageslicht zu. Bald werden die Hähne krähen, dann wird die Sonne der Erde wieder scheinen. Der Gefängniswärter ist ein Mensch wie andere Menschen. Er denkt Gedanken, träumt Träume, aber er ist sich auch bewusst, dass ihn eine ganze Geschichte der Zivilisation, ein hallendes, nachhallendes Sausen der Peitsche von gewöhnlichen Menschen wie du und ich trennt. Er ist auch deshalb anders, weil ihm die schönsten menschlichen Hoffnungen und schlimmsten menschlichen Befürchtungen anvertraut sind, die er mit seinem Gewehr und seinem Knüppel hüten muss.
Zu eben dieser Morgenstunde erwachte im Todeshaus dieses Gefängnisses ein Dieb. Das fast lautlose Wispern und Stöhnen und Knarren einer von der ersten Ahnung des Tageslichts erwärmten Erde weckte ihn; er reckte sich auf seiner Pritsche, gähnte und fühlte Furcht seine Knochen, seinen Blutstrom durchsickern in demselben Augenblick, da ihm Erwachen und Bewusstsein kamen.
Dieser Mann heißt Celestino Madeiros. Er ist fünfundzwanzig Jahre alt, kaum mehr als ein Knabe, und nicht unhübsch. Die vielen entsetzlichen Jahre des Hasses, der Gewalttätigkeit und Leidenschaft haben ihn weniger gezeichnet, als sie es hätten können. Er hat eine grade Nase, einen breiten Mund mit vollen Lippen und gerade Brauen. Die dunklen Augen sind schwer von Furcht und Sehnsucht.
Dieser Mann ist Madeiros, der Dieb. Aus dem Schlaf tritt er ins Bewusstsein, und da wird ihm die Erkenntnis, dass dies der letzte Tag seines Lebens auf dieser Erde ist.
Der Gedanke macht ihn Schaudern, kalte Fröste durchjagen seinen Leib. Obgleich es Sommer ist und warm, zieht er die Decke über sich im Bemühen, die Frostschauer zu bannen und in seinem Herzen ein wenig Feuer zu entzünden. Es hat keinen Zweck; die Schauer kriechen wieder und wieder über ihn hin. So wacht er auf, voll von der Kälte und der Furcht.

Montag, 1. August 2011

Martin Millar – Die Elfen von New York

Dinnie, ein übergewichtiger Menschenfeind, war der schlechteste Geiger von New York. Trotzdem übte er gerade tapfer, als zwei hübsche kleine Feen durch sein Fenster im vierten Stock flatterten und auf seinen Teppich kotzten.
„Entschuldigung“, sagte die eine.
„Ach was“, sagte die andere. „Für Menschen riecht Feenkotze bestimmt köstlich.“
Zu dem Zeitpunkt war Dinnie aber schon halb die Treppe hinunter und wurde immer noch schneller.
„Zwei Feen sind durch mein Fenster reingeflogen und haben auf meinen Teppich gekotzt!“ schrie er, als er unten auf der 4. Straße angekommen war. Er merkte gar nicht, welche Wirkung seine Worte auf die Passanten hatten, bis ein paar Häuser weiter die Müllmänner ihre Tonnen abstellten und ihn auslachten.
„Was is los?“
„Da oben“, schnaufte Dinnie. „Zwei Feen – mit Schottenröckchen und Fiedeln und kleinen Schwertern... grünen Schottenröckchen.“
Die Männer starrten ihn an. Dinnies Monolog stockte.
„Heh“, rief der Vorarbeiter. „Kümmert euch nicht um den Verrückten. Macht weiter mit eurer Arbeit. Los. Vorwärts. Beeilung!“
„Wirklich, es stimmt“, protestierte Dinnie, aber sein Publikum hatte sich verzogen. Niedergeschlagen sah Dinnie den Männern nach.
Die haben mir nicht geglaubt, dachte er. Kein Wunder. Ich glaub’s mir ja selbst nicht.
An der Ecke kickten vier Puertoricaner einen Tennisball hin und her und sahen Dinnie mitleidig an. Mein Gott, jetzt habe ich mich vor allen lächerlich gemacht, dachte er zerknirscht und schlich zurück ins alte Kino im Erdgeschoss seines Hauses. Sein Zimmer war vier Stockwerke hoch unter dem Dach, aber Dinnie wusste nicht recht, ob er so viele Stufen hochsteigen wollte.
„Meine Privatsphäre ist mir heilig“, knurrte er. „Und mein Verstand ebenfalls.“
Er beschloss, sich im Laden gegenüber ein Bier zu holen.
„Aber wenn ich in mein Zimmer komme und da sind zwei Feen, dann gibt’s Ärger.“

Fünf weitere Feen, die nach Bier, Whiskey und Fliegenpilzen abgrundtief desorientiert waren, flohen in diesem Moment in trunkenem Entsetzen vor dem Chaos der Park Avenue in den vergleichsweise sicheren Central Park.
„In welchem Teil von Cornwall sind wir?“ jammerte Padraig und entkam mit knapper Not den Wagenrädern eines Erdnussverkäufers.
„Das weiß nur die Göttin“, antwortete Brannoc und versuchte, Tulip zu befreien, der sich in den baumelnden Zügeln einer Pferdekutsche mit Touristen verfangen hatte.
„Ich glaube, ich halluziniere immer noch“, wimmerte Padraig, denn eine Flutwelle von Joggern wälzte sich auf ihn zu. Maeve zog ihn und die anderen schnell ins rettende Gebüsch.
Erschöpft sanken sie zu Boden.
„Sind wir in Sicherheit?“
Noch immer toste der Stadtlärm um sie herum, aber kein Mensch war zu sehen. Ein Glück. Für die meisten Menschen waren Feen nämlich unsichtbar, und so viele rennende Füße bedeuteten eine schreckliche Gefahr.
„Ja, ich glaube, hier sind wir sicher“, antwortete Brannoc, der älteste von ihnen und gewissermaßen ihr Anführer. „Aber ich habe langsam den Verdacht, dass wir gar nicht mehr in Cornwall sind.“
Ein Eichhörnchen gesellte sich zu ihnen.
„Guten Tag“, sagte Brannoc höflich, trotz seines schrecklichen Katers.
„Wer zum Teufel seid ihr denn?“ wollte das Eichhörnchen wissen.
„Wir sind Elfen“, antwortete Brannoc, woraufhin das Eichhörnchen sich lachend ins Gras plumpsen ließ, denn New Yorker Eichhörnchen sind zynische Kreaturen und glauben nicht an Feen.

In der 4. Straße stapfte Dinnie derweil die Treppen hoch, nahm noch einen großen Schluck von seinem mexikanischen Bier, kratzte sein dickes Kinn und betrat zuversichtlich sein Zimmer; er war überzeugt, dass er alles nur geträumt hatte.
Zwei Feen schliefen friedlich auf seinem Bett, und Dinnie fiel auf der Stelle in eine tiefe Depression. Er wusste, dass er nicht genug Geld hatte für einen Therapeuten.

Mittwoch, 27. Juli 2011

William Shakespeare – Ein Sommernachtstraum

   









HIPPOLYTA   Was diese Liebenden erzählen, mein Gemahl,
Ist wundervoll.

THESEUS   Mehr wundervoll als wahr.
Ich glaubte nie an diese Feenpossen
Und Fabelein. Verliebte und Verrückte
Sind beide von so brausendem Gehirn,
So bildungsreicher Phantasie, die wahrnimmt,
Was nie die kühlere Vernunft begreift.
Wahnwitzige, Poeten und Verliebte
Bestehn aus Einbildung. Der eine sieht
Mehr Teufel, als die weite Hölle fasst:
Der Tolle nämlich; der Verliebte sieht,
Nicht minder irr, die Schönheit Helenas
Auf einer äthiopisch braunen Stirn.
Des Dichters Aug, in schönem Wahnsinn rollend,
Blitzt auf zum Himmel, blitzt zur Erd hinab,
Und wie die schwangre Phantasie Gebilde
Von unbekannten Dingen ausgebiert,
Gestaltet sie des Dichters Kiel, benennt
Das luft'ge Nichts und gibt ihm festen Wohnsitz.
So gaukelt die gewalt'ge Einbildung;
Empfindet sie nur irgendeine Freude,
Sie ahnet einen Bringer dieser Freude;
Und in der Nacht, wenn uns ein Graun befällt,
Wie leicht, dass man den Busch für einen Bären hält!

HIPPOLYTA   Doch diese ganze Nachtbegebenheit
Und ihrer aller Sinn, zugleich verwandelt,
Bezeugen mehr als Spiel der Einbildung:
Es wird daraus ein Ganzes voll Bestand,
Doch seltsam immer noch und wundervoll.

Montag, 25. Juli 2011

Pamela Lynwood Travers – Mary Poppins

Das Sonnenlicht drang zum Fenster herein, flimmerte auf den weißen Wänden und tanzte über die Bettchen, in denen die Kleinen lagen.
„Mach, dass du weiterkommst! Du scheinst mir gerade auf die Augen“, sagte John laut.
„Tut mir leid“, erklärte das Sonnenlicht. „Ich kann’s nicht ändern. Ich muss nun einmal das Zimmer durchqueren. Befehl ist Befehl. Ich muss in einem Tag von Osten nach Westen wandern, und mein Weg führt durch dieses Kinderzimmer. Tut mir leid! Mach deine Augen zu, dann merkst du nichts von mir.“
Der goldene Sonnenstrahl machte sich lang und wanderte weiter durchs Zimmer. Offenbar beeilte er sich, um John einen Gefallen zu tun.
„Wie weich und köstlich du bist! Ich hab dich lieb“, sagte Barbara und hielt ihre Händchen in die strahlende Wärme.
„Gutes Kind!“ sagte der Sonnestrahl beifällig und streichelte sie liebkosend über Bäckchen und Haar. „Magst du das gern?“ fragte er, als wollte er gelobt werden.
„Köö-stlich!“ sagte Barbara und seufzte glücklich auf.

Sonntag, 24. Juli 2011

Anna Gavalda – Zusammen ist man weniger allein

Paulette Lestafier war nicht so verrückt, wie die Leute behaupteten. Natürlich wusste sie, wann welcher Tag war, sie hatte ja sonst nichts zu tun, als die Tage zu zählen, auf sie zu warten und wieder zu vergessen. Sie wusste sehr wohl, dass heute Mittwoch war. Außerdem war sie fertig! Hatte ihren Mantel übergezogen, ihren Korb gegriffen und ihre Rabattmärkchen zusammengesucht. Sie hatte sogar schon von weitem das Auto der Yvonne gehört. Aber dann stand die Katze vor der Tür, hatte Hunger, und als sie sich bückte, um ihr den Napf hinzustellen, war sie gestürtzt und mit dem Kopf auf der untersten Treppenstufe aufgeschlagen.

Paulette Lestafier fiel öfter hin, aber das war ihr Geheimnis. Das durfte sie nicht erzählen, niemandem.
„Niemandem, hörst du?“ schärfte sie sich ein. „Weder Yvonne noch dem Arzt und schon gar nicht dem Jungen...“

Sie musste langsam wieder aufstehen, warten, bis die Gegenstände alle wieder normal aussahen, Jod auftragen und ihre verfluchten blauen Flecken abdecken.

Die baluen Flecken der Paulette waren nie blau. Sie waren gelb, grün oder hellviolett und lange sichtbar. Viel zu lange. Mehrere Monate bisweilen. Es war schwer, sie zu verstecken. Die Leute fragten sie, warum sie immer wie im tiefsten Winter herumlief, warum sie Strümpfe trug und nie die Strickjacke auszog.

Vor allem der Kleine ging ihr damit auf die Nerven:
„He, Omi? Was soll das? Zieh den Plunder aus, du gehst ja ein vor Hitze!“

Nein, Paulette Lestafier war überhaupt nicht verrückt. Sie wusste, dass ihr die riesigen blauen Flecken, die nicht mehr weggingen, einmal viel Ärger bereiten würden.
Sie wusste, wie alte unnütze Frauen wie sie endeten. Die die Quecke im Gemüsegarten wuchern ließen und sich an den Möbeln festhielten, um nicht zu fallen. Die Alten, die den Faden nicht mehr durch das Nadelöhr bekamen und nicht mehr wussten, wie man den Fernseher lauter stellt. Die alle Knöpfe der Fernbedienung ausprobierten und am Ende heulend vor Wut den Stecker zogen.
Winzige bittere Tränen.
Mit dem Kopf in den Händen vor einem stummen Fernseher.

Und dann? Nichts mehr? Keine Geräusche mehr in diesem Haus? Keine Stimmen? Nie mehr? Weil man angeblich die Farbe der Knöpfe vergessen hat? Dabei hat er dir farbige Etiketten aufgeklebt, der Kleine, er hat dir Etiketten aufgeklebt! Eins für die Programme, eins für die Lautstärke und eins für den Ausknopf! Komm schon, Paulette! Hör auf, so zu heulen, und sieh dir die Etiketten an!

Dienstag, 19. Juli 2011

Anne Frank – Tagebuch

Montag, 19. Juli 1943

Liebe Kitty!
Am Sonntag ist Amsterdam-Nord sehr schwer bombardiert worden. Die Verwüstung muss entsetzlich sein, ganze Straßen liegen in Schutt, und es wird noch lange dauern, bis alle Verschütteten ausgegraben sind. Bis jetzt gibt es 200 Tote und unzählige Verwundete, die Krankenhäuser sind übervoll. Man hört von Kindern, die verloren in den schwelenden Ruinen nach ihren toten Eltern suchen. Es überläuft mich immer noch kalt, wenn ich an das dumpfe, dröhnende Grollen in der Ferne denke, das für uns das Zeichen der nahenden Vernichtung war.

Freitag, 15. Juli 2011

Katinka Buddenkotte – Mit leerer Bluse spricht man nicht

Eines Tages entdeckten die Götter des Olymps ihre soziale Ader. Nachdem sie sich über Jahrhunderte an Nektar und Ambrosia gelabt und sich in ausschweifenden Orgien mit der menschlichen Rasse gepaart hatten, überkam Zeus plötzlich eine Art Altersanstand. Er sprach: „Schickt mir den Knaben, den Adonis in einer schwachen Minute mit einer hysterischen Wüstenrennmaus zeugte, auf dass ich ihm eine Aufgabe gebe, wie nur ein Halbtitan sie zu erfüllen vermag!“
Der blonde Jüngling wurde gebracht, und der Göttervater merkte an dessen Gebaren und Redefluss schnell, dass die Rennmaus-Gene sich als dominant erwiesen hatten. So verkündete er denn flink und direkt: „Knabe, Göttersohn, Halbmensch, halte eine Minute inne und höre, was ich zu sagen habe. Auf der Erde, im kalten Norden, wohnt eine Seele, der fehlt, was du im Überfluss hast: Motivation. Geh zu ihr und tritt ihr in den Hintern, auf dass sie endlich mal loslege. Wie du das machst, ist uns gleich, aber segle schnell, denn: Hier oben machst du uns alle wahnsinnig!“
So trat Vasili in mein Leben. Er spürte mich in meinem Versteck, einem Call-Center in Berlin-Schöneberg, auf und verlor, wie befohlen, keine Zeit. Er wurde mein bester Freund und lehrte mich im Schnelldurchlauf, was es heißt, einen Griechen zum Freund zu haben.
Vasili nahm mich auf eine Odyssee nach der anderen mit. Er, aus dem Volke der Reeder, war der Kapitän, ich das Schlachtschiff. Seit ich Vasili kenne, bin ich nie mehr sang- und klanglos, sondern immer nur im ganz großen Stil untergegangen.

Freitag, 8. Juli 2011

Selma Lagerlöf – Die Wunderbare Reise des kleinen Nils Holgersson mit den Wildgänsen

Es war wunderschönes Wetter, rings um ihn her murmelte und knospte und zwitscherte es. Aber ihm war das Herz schwer. Nie wieder würde er sich über etwas freuen können. Er meinte, den Himmel noch nie so dunkelblau gesehen zu haben wie an diesem Tage. Zugvögel kamen dahergeflogen. Sie kamen vom Auslande, waren über die Ostsee gerade auf Smygehuk zugesteuert und waren jetzt auf dem Wege nach Norden. Es waren Vögel von den verschiedensten Arten; aber er kannte nur die Wildgänse, die in zwei langen, keilförmigen Reihen flogen.
Schon mehrere Scharen Wildgänse waren so vorübergeflogen. Sie flogen hoch droben, aber er hörte doch, wie sie riefen: „Jetzt gehts auf die hohen Berge! Jetzt gehts auf die hohen Berge!“
Sobald die Wildgänse die zahmen Gänse sahen, die auf dem Hofe umherliefen, senkten sie sich herab und riefen: „Kommt mit, kommt mit! Jetzt gehts auf die hohen Berge!“
Die zahmen Gänse reckten unwillkürlich die Hälse und horchten, antworteten dann aber verständig: „Es geht uns hier ganz gut! Es geht uns hier ganz gut!“
Es war, wie gesagt, ein überaus schöner Tag, und die Luft war so frisch und leicht, daß es ein Vergnügen sein mußte, darin zu fliegen. Und mit jeder neuen Schar Wildgänse, die vorüberflog, wurden die zahmen Gänse aufgeregter. Ein paarmal schlugen sie mit den Flügeln, als hätten sie große Lust, mitzufliegen. Aber jedesmal sagte eine alte Gänsemutter: „Seid nicht verrückt, Kinder, das hieße so viel als hungern und frieren.“
Bei einem jungen Gänserich hatten die Zurufe ein wahres Reisefieber erweckt. „Wenn noch eine Schar kommt, fliege ich mit!“ rief er.
Jetzt kam eine neue Schar und rief wie die andern. Da schrie der junge Gänserich: „Wartet, wartet, ich komme mit!“ Er breitete seine Flügel aus und hob sich empor. Aber er war des Fliegens zu ungewohnt und fiel wieder auf den Boden zurück.
Die Wildgänse mußten jedenfalls seinen Ruf gehört haben. Sie wendeten sich um und flogen langsam zurück, um zu sehen, ob er mitkäme.
„Wartet! Wartet!“ rief er und machte einen neuen Versuch.
All das hörte der Junge auf dem Mäuerchen. „Das wäre sehr schade, wenn der große Gänserich fortginge,“ dachte er; „Vater und Mutter würden sich darüber grämen, wenn er bei ihrer Rückkehr nicht mehr da wäre.“
Während er dies dachte, vergaß er wieder ganz, daß er klein und ohnmächtig war. Er sprang von dem Mäuerchen hinunter, lief mitten in die Gänseschar hinein und umschlang den Gänserich mit seinen Armen. „Das wirst du schön bleiben lassen, von hier wegzufliegen, hörst du!“ rief er.
Aber gerade in diesem Augenblick hatte der Gänserich herausgefunden, wie er es machen müsse, um vom Boden fortzukommen. In seinem Eifer nahm er sich nicht die Zeit, den Jungen abzuschütteln; dieser mußte mit in die Luft hinauf.
Es ging so schnell aufwärts, daß es dem Jungen schwindlig wurde. Ehe er sich klar machen konnte, daß er den Hals des Gänserichs loslassen müßte, war er schon so hoch droben, daß er sich totgefallen hätte, wenn er jetzt hinuntergestürzt wäre.
Das einzige, was er unternehmen konnte, um in eine etwas bequemere Lage zu kommen, war ein Versuch, auf den Rücken des Gänserichs zu klettern. Und er kletterte wirklich hinauf, wenn auch mit großer Mühe. Aber es war gar nicht leicht, sich auf dem glatten Rücken zwischen den beiden schwingenden Flügeln festzuhalten. Er mußte mit beiden Händen tief in die Federn und den Flaum hineingreifen, um nicht hintüber zu fallen.



Donnerstag, 7. Juli 2011

Ray Bradbury – Fahrenheit 451

Es war eine Lust, Feuer zu legen.
Es war eine eigene Lust, zu sehen, wie etwas verzehrt wurde, wie es schwarz und zu etwas anderem wurde. Das gelbe Stahlrohr in der Hand, die Mündung dieser mächtigen Schlange, die ihr giftiges Kerosien in die Welt hinaus spie, fühlte er das Blut in seinen Schläfen pochen, und seine Hände waren die eines erstaunlichen Dirigenten, der eine Synphonie des Sengens und Brennens aufführte, um die kläglichen Reste der Kulturgeschichte vollends auszutilgen. Auf dem Kopf den Helm mit dem Zeichen 451, in den Augen einen flammenden Widerschein dessen, was nun kommen sollte, knipste er das Feuerzeug an, und das Haus flog auf in eine gierige Lohe, die sich rot und gelb und schwarz in den Abendhimmel hineinfraß. Er selber war umschwirrt wie von einem Schwarm von Leuchtkäfern. Ein altes Witzwort kam ihm in den Sinn, und er hätte am liebsten eine aufgespießte Wurst in die Feuersbrunst hineingehalten, während die Bücher mit dem Flügelschlag weißer Tauben vor dem Haus den Flammentod starben. Während die Bücher in Funkenwirbel aufsprühten und von einem brandgeschwärzten Wind verweht wurden.


Sonntag, 3. Juli 2011

Robert Louis Stevenson – Die Schatzinsel

An den zögernden Käufer

Wenn Seemannsgarn zu guten Seemannsweisen
von Glut und Kälte, Stürmen und Passaten,
von Schiffen, Inseln, Abenteuerreisen,
von Ausgesetzten, Schätzen und Piraten,
kurz, all der Zauber alter Heldentaten,
wie er von je mein ganzes Herz bezwungen,
berichtet nach der Weise der Janmaaten,
auch euch noch reizt, ihr neunmalklugen Jungen:

so lauscht mir denn! Doch war ich zu vermessen,
will keine Sehnsucht mehr sich offenbaren,
seid ihr zu nüchtern, habt wohl gar vergessen,
wer Kingston, Ballantyne und Cooper waren,
für die ich einst geschwärmt in jungen Jahren:
so sei’s. Dann will ich schweigend und bezwungen
mit meinen Helden in die Grube fahren,
die sie und ihre Werke längst verschlungen.

Mittwoch, 29. Juni 2011

Roald Dahl – Sophiechen und der Riese

«Ich möchte, daß die Königin von England träumt, wie neun ekelhafte Riesen – jeder ungefähr sechzehn Meter dreiundzwanzig lang – bei Dunkelwerden nach England galoppieren. Sie soll auch ihre Namen träumen. Wie waren noch gleich die Namen?»
«Fleischfetzenfresser», sagte der GuRie. «Menschenpresser. Knochenknacker. Kinderkauer. Hackepeter. Klumpenwürger. Mädchenmanscher. Blutschlucker. Und Metzgerhetzer.»
«Laß sie alle diese Namen träumen», sagte Sophiechen. «Und laß sie träumen, wie diese Typen sich einschleichen nach England mitten in der Nacht, zur Geisterstunde, und wie sie sich kleine Jungen und Mädchen aus den Betten grapschen. Laß sie träumen, wie die Riesen durch die Schlafzimmerfenster greifen, wie sie die kleinen Jungen und Mädchen aus den warmen Betten zerren und sie dann …» Sophiechen mußte abbrechen. Aber dann kam sie doch mit der Frage heraus: «Wie ist das eigentlich? Werden sie gleich an Ort und Stelle verspeist oder erst einmal woandershin gebracht?»
«Die schmeißen sie sich immer direkt ins Maul wie Kartoffelchips», sagte der GuRie.

Montag, 20. Juni 2011

Herman Melville – Moby Dick

Was nun kam, war ein grauenhaftes, erbarmungswürdiges Schauspiel. Den Kopf über dem Wasser, schwamm der Wal dahin, der Strahl, den er ausblies, kam qualvoll und in jagender Hast, mit seiner einen, armseligen Finne schlug er sich in entsetzlicher Todesangst gegen die Flanke. Bald taumelte er auf diese Seite, bald auf jene; bei jeder Woge, die er durchbrach, sackte er ab und rollte zur Seite, so daß seine Finne kläglich gen Himmel wies. So kreist der Vogel mit gestutzten Schwingen in furchtsamen, unregelmäßigen Kreisen in der Luft und strebt vergebens, dem räuberischen Habicht zu entkommen. Aber der Vogel hat eine Stimme und kann seine Todesangst laut hinausschreien. Die Todesangst dieser großen, stummen Kreatur war eingeschlossen in dem Riesenleib; sie hatte keine Stimme, nur ein dumpfes Röcheln, das durch das Spritzloch kam. Das Bild wurde dadurch noch jammervoller. Und dennoch konnten der mächtige Leib, der schnappende Kiefer und der allgewaltige Schwanz auch dem kühnsten Mann noch Furcht einjagen.

...

Lange konnte der Wal die Hetzjagd nicht durchhalten. Er stöhnte laut auf und ging brausend in die Tiefe. Knirschend liefen die drei Leinen von den Pollern ab und schnitten tiefe Rillen ein. Die Harpuniere fürchteten, daß bei diesem plötzlichen Untertauchen die Leinen gänzlich auslaufen könnten; darum gaben sie, um dem vorzubeugen, noch einige Seilschlingen zu. Der Druck auf die Seile wurde schließlich so stark, daß die Boote mit dem Dollbord am Bug fast im Wasser lagen, während sie am Heck hoch in die Luft ragten. Da der Wal jetzt nicht mehr tiefer tauchte, blieben sie eine Zeitlang in dieser Lage, die durchaus nicht ungefährlich war, denn auf diese Weise war schon manches Boot hinabgerissen worden und verlorengegangen. So lagen die drei Boote auf der leise bewegten See unter dem ewig blauen Mittagshimmel. Kein Stöhnen, kein Schrei, nichts, kein Wellengekräusel, keine Blase kam aus der Tiefe. Welche Landratte hätte gedacht, daß tief unten das gewaltigste Ungeheuer des Meeres sich im Todeskampf wand?
»Achtung, Leute, er rührt sich«, rief Stubb, als sich die Leinen plötzlich regten und die letzten Zuckungen des Wales aus der Tiefe meldeten, so daß jeder Mann am Ruder sie wahrnehmen konnte. Sogleich ließ auch der Druck auf den Bug nach. Die drei Boote schnellten unvermittelt empor wie ein Eisfeld, wenn ein Rudel Eisbären in plötzlichem Schrecken ins Meer flieht.
»Hol ein! Hol ein!« schrie Starbuck wieder. »Er taucht auf!«
Die Leinen, die Sekunden vorher noch keine Handbreit nachgegeben hätten, wurden nun tropfnaß in langen Schlingen schnell ins Boot gezogen, und bald durchbrach auch der Wal zwei Schiffslängen vor den Jägern die Wasseroberfläche. Seine Bewegungen verrieten, daß er am Ende seiner Kräfte war. Die Boote drangen immer näher auf das Tier ein und gerieten in gefährliche Nähe seines Schwanzes. Doch die Lanzen bohrten sich immer häufiger in seinen Riesenleib, und aus jeder neuen Wunde spritzte das Blut in hohen Fontänen empor, während das Blasloch oben am Kopf nur noch mühsam und in Abständen seinen Strahl in die Luft stieß. Doch kam aus diesem letzten Ventil noch kein Blut, denn noch war kein lebenswichtiges Organ im Innern getroffen. Das Leben, wie man bezeichnenderweise sagt, war noch unversehrt.
Die Boote schlossen sich immer enger um ihn zusammen, die ganze obere Hälfte des Körpers, sonst zum größten Teil unter Wasser, lag offen zutage. Die Augen oder vielmehr die Stellen, wo sie gewesen waren, wurden sichtbar. So wie sich an der edlen Eiche in Knorren und Astlöchern allerlei Mißwuchs bildet, so traten dort, wo sich einst die Augen des Wals befunden hatten, zwei blinde Kugeln hervor – ein erbarmungswürdiger Anblick. Aber Erbarmen gab es hier nicht. Der alte, blinde einarmige Wal mußte sterben. Er wurde ermordet, denn sein Öl soll brennen zu den Festen der Menschen und den Feiern der Kirche, wo man die Liebe zu allen Geschöpfen predigt.

Sonntag, 19. Juni 2011

Douglas Adams – The ultimate Hitchhiker’s Guide to the Galaxy

Far out in the uncharted backwaters of the unfashionable end of the western spiral arm of the Galaxy lies a small unregarded yellow sun.
Orbiting this at a distance of roughly ninety-two million miles is an utterly insignificant little blue green planet whose ape-descended life forms are so amazingly primitive that they still think digital watches are a pretty neat idea.
This planet has – or rather had – a problem, which was this: most of the people on it were unhappy for pretty much of the time. Many solutions were suggested for this problem, but most of these were largely concerned with the movements of small green pieces of paper, which is odd because on the whole it wasn't the small green pieces of paper that were unhappy.
And so the problem remained; lots of the people were mean, and most of them were miserable, even the ones with digital watches.
Many were increasingly of the opinion that they'd all made a big mistake in coming down from the trees in the first place. And some said that even the trees had been a bad move, and that no one should ever have left the oceans.
And then, one Thursday, nearly two thousand years after one man had been nailed to a tree for saying how great it would be to be nice to people for a change, one girl sitting on her own in a small cafe in Rickmansworth suddenly realized what it was that had been going wrong all this time, and she finally knew how the world could be made a good and happy place. This time it was right, it would work, and no one would have to get nailed to anything.
Sadly, however, before she could get to a phone to tell anyone about it, a terribly stupid catastrophe occurred, and the idea was lost forever.
This is not her story.
But it is the story of that terrible stupid catastrophe and some of its consequences.
It is also the story of a book, a book called The Hitch Hiker's Guide to the Galaxy – not an Earth book, never published on Earth, and until the terrible catastrophe occurred, never seen or heard of by any Earthman.
Nevertheless, a wholly remarkable book.